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Der Graf von Gleichen

  Joh. Manlii locor. commun. collectanea. Basil. per Oporinum 1562 sq. p. 175.
  Nicolai de Siegen chron. eccl. bei Hellbach Archiv f. Gesch. der Grafschaft
  Gleichen II, 35 ff.
  Binhard thür. Chron. I, 174.
  Hogel's Chronik von Erfurt. Manuscript S. 142 f.
  Sagittarius Gesch. der Grafschaft Gleichen S. 51–56.
  Tenzel monatl. Unterredungen 1696. S. 599, 620.
  Becherer thür. Chron. Mühlhausen 1601. S. 268.

Unter den Rittern, welche mit dem Landgrafen von Thüringen und Hessen, Ludwig dem Heiligen, in das gelobte Land zogen, befand sich auch der Graf von Gleichen. Als aber der Landgraf unterwegs gestorben war, zogen die meisten seiner Begleiter wieder in ihre Heimath zurück, aber der Graf von Gleichen ging mit dem Kaiser weiter und sein Arm verrichtete Wunder der Tapferkeit in dem heiligen Lande. Eines Tages hatte er sich aber zu weit von dem Lager der Christen entfernt und wurde von einer Schaar Feinde umringt, mit seinem Knappen gefangen genommen und in die Knechtschaft geführt. Weil er seinen Namen und Stand geheim hielt, musste er wie die übrigen Sklaven allerlei schwere Feld- und Gartenarbeit thun. Da geschah es eines Tages, dass die schöne Tochter des Sultans, welche an seiner Geschicklichkeit und Anmuth in allen Dingen ein besonderes Wohlgefallen gefunden hatte, zu ihm trat, und ihn mit freundlichem Gespräch erheiterte. Solche heimliche Unterredung pflogen die beiden noch oft und je öfter sie kam, desto mehr wuchs ihre Zuneigung und Liebe zu dem fremden, unbekannten Gefangenen. In dieser Vertraulichkeit vergingen mehrere Jahre, bis der mitgefangene Diener des Grafen der Sultanstochter den wahren Namen und Stand seines Herrn offenbarte. Nun versprach sie dem Grafen, dass sie ihn befreien und mit Schätzen begaben wolle, wenn er sie zu Ehe nehmen würde; auch wollte sie mit ihm flüchten, wenn er nicht in ihrem Lande zu bleiben gedächte. Der Graf hatte aber eine Gemahlin mit zwei Kindern daheim zurückgelassen, doch die Jungfrau kehrte sich nicht daran und auch bei ihm siegte die Liebe zur Freiheit über alle Bedenklichkeiten, dass er ihr alles zusagte, hoffend des Pabstes Erlaubniss und seiner Gemahlin Verzeihung zu erlangen, zumal da die schöne Heidin auch ihren Glauben abthun und eine Christin werden wollte.

Beide entflohen und kamen glücklich nach Venedig. Von da gingen sie nach Rom zum Pabste und dieser gab dem Grafen seine Einwilligung zu der gewünschten Vermählung, nachdem die Sultanstochter vorher den christlichen Glauben angenommen und die heilige Taufe empfangen hatte. Als nun der Graf nach Thüringen kommt, lässt er die Sarazenin eine kurze Strecke Wegs vor seinem Schlosse in der Herberge zurück und eilet voraus zu seiner ersten Gemahlin und wird von ihr fröhlich empfangen. Da sagt er ihr, wie es um ihn stehe, dass er noch ein Weib mit sich bringe und dass er es gegen Gott nimmermehr verantworten könne, wenn er sie hätte in den fremden Landen verlassen sollen, die seines Lebens und seiner Erlösung Ursache sei. Die Gräfin sprach: „mein lieber Herr, sei es Gott gedanket, dass ich euch frisch und gesund wieder habe, und weil sie euch hat frei gemacht, so soll sie des ihr ganzes Leben von mir geniessen.“ Und sie ging ihr entgegen und führte sie auf das Schloss und beide Frauen vertrugen sich gar wohl. Auch hatte die Sarazenin der Gräfin Kinder nicht weniger lieb, als wenn es ihre eigenen wären. Der Ort bei Gleichen, wo die beiden Frauen zuerst zusammentrafen, wurde das Freudenthal genannt und am Fusse des Berges steht ein einsames Forsthaus, welches denselben Namen führt. Auch erzählt man, dass die sarazenische Gemahlin des Grafen den Burgweg bis zum Schlosse. hinauf habe herstellen lassen, weil sie Erbarmen hatte mit den armen Leuten, die den alten bösen und gefährlichen Weg hinaufgehen mussten. Dieser Weg wird bis auf den heutigen Tag der Türkenweg genannt. Lange Zeit hat man auf der Burg Gleichen in einer Kammer das dreischläfrige Bett mit rund gewölbtem Himmel gezeigt; es war von Tannenholz, grün angestrichen, vier und eine halbe Elle lang und vier Ellen breit. Im Jahre 1812 ist es von den Franzosen im Feldlager verbrannt worden.

Auch an andern Orten gab es Erinnerungen und Wahrzeichen an die Doppelehe des Grafen von Gleichen. So zeigte man auf dem Haus Tonna im Archiv den türkischen Bund, den die Sarazenin zu tragen pflegte, und ein goldenes Kreuz, das sie mit in das Land gebracht hatte. Und auf dem Schloss zu Farrenroda bei Eisenach, welches den Burggrafen von Kirchberg gehörte, war noch in neuester Zeit eine alte Tapete vorhanden, worauf man die Geschichte in acht besondern Feldern dargestellt hatte. Das erste zeigte den Abschied des Grafen von seiner Gemahlin und seinen Kindern; das andere seinen Auszug in den Kampf; auf dem dritten sah man, wie er gefangen und in Ketten geschlossen wird; auf dem vierten trifft ihn die Sultanstochter bei der Feldarbeit und unterredet sich mit ihm; auf dem fünften sah man sie zu Schiffe gehen; auf dem sechsten, wie dies der ersten Gemahlin durch ein Schreiben kund gethan wird; auf dem siebenten, wie der Pabst die Dispensation ertheilt und die Trauung vor sich geht und endlich auf dem achten den Einzug in das Schloss Gleichen und wie die erste Gemahlin die Sarazenin emtpfängt.

Auf dem Petersberge zu Erfurt in dem vormaligen Benedictinerkloster war ein mit Perlen und Edelsteinen reich und künstlich verzierter Abtsornat, ein Geschenk der beiden Frauen. Und in demselben Kloster war auch der Leichenstein, auf dem der Graf zwischen seinen beiden Frauen in Stein gehauen ist. Nach Aufhebung des Klosters ist dieser Grabstein im Dom aufgestellt worden, wo er noch heute zu sehen ist. Nach einer andern Sage wurde der Graf in einem harten Treffen mit den Ungläubigen überwunden, und in einen festen, wohlverwahrten Thurm geführt. Da sah ihn des Sultans Tochter im Vorübergehen am Fenster und fand an seiner Schönheit und Wohlgestalt grossen Gefallen. Nachdem sie auch vernommen hatte, dass der schöne Gefangene hohen Standes und ein Graf sei, wuchs ihre stille Zuneigung zu einer herzlichen und starken Liebe. Eines Tages veranstaltete ihr Vater, der Sultan, ein Freudenfest an seinem Hofe. Diese Gelegenheit nahm die Tochter wahr und ging wohlgeschmückt zum Vater ins Gemach, that einen Fussfall und erflehte von ihm die Gewährung einer Bitte. Als der Sultan in seiner grossen Liebe zur Tochter dies unbedenklich zugesagt hatte, bat sie um die Freiheit des gefangenen Grafen und dass ihr derselbe zu einem ehelichen Gemahl gegeben würde. Der Vater war über diese Bitte wohl sehr bestürzt, doch konnte und wollte er seine Zusage nicht zurücknehmen, sondern hielt sein Wort und bewilligte beides. Reichlich mit Schätzen begabt liess er seine Tochter mit dem Grafen von Gleichen aus dem Lande ziehen und stattlich nach Venedig begleiten. Alles andere begab sich dann, wie schon erzählt worden ist.

Quellen: