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Der Kelch mit der Scharle im Dom zu Merseburg

  Adalberti vit. Heinrici II. imperatoris c. 21. 33. Pertz monum. VI, 810. 805.
  Eike von Repgow Zeitbuch herausgegeb. von Massmann. Stuttg. 1857. S. 328-330.
  Grimm deutsche Sagen II, Nr. 479. 476.

In den Zeiten, als Kaiser Heinrich II. starb, lebte ein frommer Einsiedel, der hörte in der Luft ein grosses Rauschen von Teufeln, wie wenn ein Kriegsheer an seiner Zelle vorbeiziehe, und er beschwor sie bei Gott, ihm zu sagen, wohin sie wollten. Sie sagten: „zu Kaiser Heinrichs Tode, seine Seele zu holen.„ Da beschwor sie der gute Mann, dass sie ihm wieder sagten, was sie erworben hätten. Die Teufel fuhren ihren Weg, der gute Mann aber betete zu Gott für des Kaisers Seele. Die Teufel kamen bald zu dem Einsiedel zurück und sagten: „als des Kaisers Missethat seine guten Thaten überwiegen sollte und wir seine Seele in unsere Gewalt nehmen wollten, da kam der gesegnete Laurentius und warf einen Kelch in die Wage, dass dem Kelch eine Scherbe ausbrach. Also verloren wir die Seele.“ Da lobte der Einsiedel Gott und that den Domherrn von Merseburg diese Märe kund. Die fanden denselben Kelch mit der Scharte, wie man ihn noch heute kann schauen. Diesen Kelch hatte einst der Kaiser Heinrich zu Merseburg dem heiligen Laurentius gegeben, und das hatte diese Ursache gehabt.

Der Kaiser hatte eine Gemahlin mit Namen Kunigunde, Tochter des Pfalzgrafen Siegfrieds bei Rhein zu Wasserburg, die führte nur um ihrer Keuschheit willen die Klage, dass sie nicht jung in ein Kloster gekommen wäre. Diese hatte der Kaiser um ihrer Tugend willen zu seiner Gemahlin erwählet und liebte sie darum viel mehr, als um ihrer Geburt willen. Und als er bei derselben allein war, offenbarte er ihr sein Gelübde der Keuschheit, so er Gott gethan hatte. Da lobte sie ihn und sagte ihm zu, dass sie mit ihm in dasselbige Gelübde treten wollte. Als nun dieses lange Zeit von ihnen gehalten wurde, hasste der Teufel ihre Tugend und stieg des Morgens früh in Gestalt eines Jünglings in ihre Kammer wenn der Kaiser nicht daheim war. Solches ward ganz offenbar und vor den Kaiser mit viel frommer Leute Zeugniss gebracht, dass er dadurch verursachet ward, sie dessen öffentlich zu beschuldigen. Da erbot sie sich ihre Unschuld mit dem glühenden Eisen zu beweisen. Der Kaiser antwortete ihr, ihm wäre ihre Tugend und Unschuld wohl bewusst, er müsste es aber von ihr nehmen um des gemeinen Volks willen. Als nun solches vor ihre Freundschaft gebracht ward, sagten sie, sie müsste sich entschuldigen oder sterben. Da wurden in Gegenwart der Fürsten, Grafen und Ritterschaft zwölf Pflugschare in einer Esse glühend gemacht und in des Kaisers Palast auf das Erdreich gelegt und man hiess die Kaiserin ihre Unschuld damit beweisen. Da sprach sie: „so wahr ich aller Männer unschuldig bin, so wahr muss mir Gott helfen, dass mich die Schare nicht verlegen noch verbrennen.“ Da stund ihr Bruder dabei und schlug sie an den Backen, darum dass sie den Kaiser Heinrich nicht ausgenommen hatte. Also ging sie über die Schare unverletzt zum ersten, andern und dritten Male. Da nahm sie der Kaiser Heinrich in seine Arme und bat sie weinend um Gottes willen, dass sie ihm das vergeben wollte, denn er hätte es an ihr thun müssen. Da weinten die Freunde vor Freuden. Kaiser Heinrich sprach: „sie hat recht gesagt, sie ist meiner nicht schuldig worden, und ihr Bruder hat sie unrecht geschlagen.“ Deswegen gab der Kaiserin das Stift zu Merseburg einen güldenen Kelch und eine Schaale mit edlen Gesteinen, welches er dem heil. Laurentius um der Kaiserin Unschuld willen zum Opfer gelobt hatte.

Quellen: