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Die drei Jungfrauen von Auw

Im unteren Kylltal liegt, umgeben von waldbewachsenen Bergen, das freundliche Dörfchen Auw. Nach seinem Kirchlein wallen am Fest Mariä Himmelfahrt Pilger in großen Scharen. Darin steht ein altes, aus Holz geschnitztes Bild, auf dem drei weibliche Figuren, auf einem Esel sitzend, dargestellt sind. Die Mittlere von ihnen hat die Augen verbunden. Darunter stehen die Namen Adela, Clotildis und Irmina. Sie benennen die drei Jungfrauen von Auw, über deren seltsames Lebensschicksal eine alte Sage Folgendes berichtet:

Die Jungfrauen waren Schwestern des Königs Dagobert I., der von 628 bis 638 über das Frankenreich herrschte. Sie zeichneten sich sowohl durch körperliche Schönheit als auch durch Seelenreinheit und Frömmigkeit aus. Sie hatten sich von den Freuden und dem Geräusch der Welt in die friedliche Stille des Klosters Mans1) zurückgezogen, wo sie ein gottgefälliges Leben führten. Ihr Bruder, der seine Untertanen grausam knechtete, war ein böser, sittenloser Mensch. Kaum hatte er den Aufenthalt der drei schönen Nonnen erfahren, da machte er sich auf nach Mans. Er drang in das Kloster ein und ließ die Nonnen vor sich erscheinen. Mit Staunen erkannte er, dass es seine leiblichen Schwestern waren. Trotzdem ließ er sie an seinen Hof bringen, wo er nichts unversucht ließ, sie in der Tugend wankend zu machen. Infolge der bewunderungswürdigen Standhaftigkeit wurden seine teuflischen Pläne und Ränke zuschanden. Darüber geriet der gottlose König in unsagbare Wut. Um sich an den gottgeweihten Schwestern, deren engelreines Leben zu seinem wüsten Treiben in grellem Gegensatz stand, zu rächen, ließ er sie in einen finsteren Kerker werfen. Darin sollten sie Hungers sterben. Allein Gott verlässt die Seinen nicht. Er schickte den Gefangenen den Kriegsobersten Norbert, der mit seinen Leuten nachts die drei Schwestern befreite und mit ihnen nach Deutschland entfloh. Dagobert war aber auch nicht müßig. Sobald ihm die Flucht bekannt war, setzte er ihnen sofort mit einem Heer nach. In den Eifelbergen erreichte er die Entflohenen. Norberts Leute wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht. Die drei Schwestern hatten sich am Tage vorher von ihren Beschützern entfernt.2) Auf den schroffen Höhen bei Auw, wohin sie sich geflüchtet hatten, sahen sie plötzlich ihre Verfolger hinter sich. Ein Entrinnen schien unmöglich. Hinter ihnen drohten die blitzenden Schwerter ihrer Verfolger, vor ihnen das tiefe Tal der reißenden Kyll und zu den Seiten jähe Abgründe.

In dieser argen Bedrängnis nahmen sie ihre Zuflucht zum Gebet. Sie knieten nieder und sandten ein inbrünstiges Gebet zum Himmel. Dann bestiegen die drei vertrauensvoll einen Esel, der ihre Habseligkeiten trug, und in kühnem, aber glücklichem Sprung setzte das Tier über den rauschenden Fluss. Unverletzt kamen sie auf dem jenseitigen Ufer an. Damit waren sie den Blicken ihrer Verfolger, die wie auf höheren Befehl plötzlich umkehrten, entzogen und gerettet. Sie begruben die Leichen ihrer erschlagenen Begleiter und errichteten ein Kirchlein über dem Grab.

Auf dem rechten Ufer der Kyll erhebt sich auf einer Felswand, dem »Eselchen«, ein Kreuz. Es bezeichnet die Stelle, von wo aus der rettende Sprung gewagt wurde. Eine Inschrift darauf erzählt den berichteten Vorgang in folgender Weise:

Hie sein zu sehen Wundermahl’
So hinderließ dazumal,
Da der heiligen Jungfrauen drei
Wurden verfolget hie vorbei.
Der Esel darauf sie saßen
Wollt sie doch nicht verlassen
Und ihr Leben zu gewinnen,
Gleich über die Kyll tutspringen,
Selbe auf dem Ufer setzet
Ganz unverletzet.

Quelle: Jos. Schiffels: Sagen, Legenden und Geschichten aus der Eifel, zweiter Band, Verlag Georg Fischer. Wittlich. 1912


1)
Vergleiche das heutige Le Mans in Frankreich, südwestlich von Paris
2)
Wahrscheinlich hat der Ort Auw daher seinen Namen. Dieser kann nämlich abgeleitet werden von a via, d.i. vom Wege. Die Jungfrauen haben sich in dieses Tal geflüchtet, das vom Wege abgelegen war.