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Das Kräutermännchen

Ein Fischer stand einst nachts mit seinem Wurfgarn oberhalb der Fließemer Mühle an der Kyll. Schon wiederholt hatte er das Garn ausgeworfen, aber noch nicht ein einziges Fischlein gefangen. Das machte ihn sehr verdrießlich, denn er hatte zu Hause zwei kranke Zwillingskinder, einen Knaben und ein Mädchen. Jedes Mal nämlich, wenn das Fieber vorüber war, verlangten sie nach einem Fisch und warteten daher sehnsüchtig auf die Rückkehr des Vaters.

Während dieser harrend und sinnend am Ufer stand, bemerkte er auf einmal auf dem Wasser zwei junge Schwäne, die schwach und todesmatt flussaufwärts schwammen. Der Fischer war versucht, sein Fanggarn nach ihnen auszuwerfen. Als er eben im Begriff war, seine Absicht auszuführen, erschien am entgegengesetzten Ufer plötzlich das grasgrüne Kräutermännlein1). Es hielt ihm ein Kräuterbündlein entgegen und drohte mit erhobenem Finger. So wollte es den Fischer von seinem törichten Vorhaben abbringen.

Allein er achtete nicht auf den warnenden Wink, sondern warf sogleich das Garn nach den vermeintlichen Schwänen, die er beide gefangen hatte. Als er das Netz in die Höhe gezogen hatte und entleeren wollte, waren statt der Schwäne zwei glänzende Forellen darin. Der Mann war darüber nicht wenig verwundert. Rasch eilte er nach Hause, um seinen kranken Kindern die labende Speise zu bringen. In banger Ahnung näherte er sich seiner Wohnung, über die er zwei Schwäne emporsteigen sah, die endlich in nebelhafter Ferne entschwanden. Kaum hatten die Kinder von den Fischen gegessen, da erbleichten sie.

Quelle: Jos. Schiffels: Sagen, Legenden und Geschichten aus der Eifel, zweiter Band, Verlag Georg Fischer. Wittlich. 1912


1)
Ein winziges Männchen, das nachts heilende Kräuter sucht und sie, in kleine Bündel gebunden, an einer Baumwurzel niederlegt, wo die Leute sie nehmen.