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Das wüthende Heer und Frau Venus Berg

Unter dem wüthenden Heere versteht man das Jagdgeschrei und Gebell der Hunde, welches man zu Zeiten nächtlich in den Wäldern hört. Manch wilder Jäger und unmilder König, der das Wild in seinen Forsten hegte, auf daß es die Saaten seiner Unterthanen vertilgte, soll nun so umher reiten. So glaubten sonst die Dänen, der Geist ihres ruchlosen Königs Abel ritte in den Wildnissen und einigen andern Orten auf der Jagd sichtbarlich herum. Zu Frankreich, in Tours, glaubte man, daß König Hugo der nächtliche Reuter sei und selbst der fromme König Artus 1) kam in den Verdacht, daß er mit seiner Massenei umherschwärme.

In Deutschland hielt man aber am meisten dafür, es sei Frau Venus, die, aus dem Venusberge kommend, mit ihrem verführerischen Heere durch die Lande zöge und neue Einwohner ihrem Lande zu gewinnen suche. Tannhäuser, der treue Eckard genannt, ginge vor diesem tollwüthenden Heere voran und, mit einem Stabe bewaffnet, weise er zurück die Leute, die er im Wege fünde und helfe ihnen sich zu retten. Davon hat man ein altes Lied:

Nun will ich aber heben an,
Vom Tannhäuser wollen wir singen,
Und was er Wunders hat gethan
Mit Frau Venussinnen.

Der Tannhäuser war ein Ritter gut,
Er wollt' groß Wunder schauen,
Da zog er in Frau Venus Berg
Zu andern schönen Frauen.

»Herr Tannhäuser, ihr seid mir lieb,
Daran sollt ihr gedenken,
Ihr habt mir einen Eid geschworen,
Ihr wollt nicht von mir wenken (wanken).«

»Frau Venus, ich hab's nicht gethan,
Ich will das widersprechen,
Wenn niemand spricht das mehr denn ihr,
Gott helf mir zu dem Rechten.« –

»Herr Tannhäuser, wie sagt ihr mir,
Ihr sollet bei uns bleiben,
Ich geb' euch meiner Gespielen ein
Zu einem ehelichen Weibe.«

»Nehm ich dann ein ander Weib,
Als ich hab' in meinem Sinne,
So muß ich in der Höllen Glut
Da ewiglich verbrennen.«

»Du sagst mir viel von der Höllen Glut,
Du hast es doch nicht befunden,
Gedenk' an meinen rothen Mund,
Der lacht zu allen Stunden.«

»Was hilft mir euer rother Mund,
Er ist mir gar unmehre 2)
Nun gieb mir Urlaub, Frau Venus zart,
Durch aller Frauen Ehre.«

»Herr Tannhäuser, wollt' ihr Urlaub ha'n,
Ich will euch keinen geben;
Nun bleibet, edler Tannhäuser zart
Und frischet euer Leben.«

»Mein Leben, das ist worden krank,
Ich kann nicht länger bleiben,
Gebt mir Urlaub, Fraue zart,
Von eurem stolzen Leibe.«

»Herr Tannhäuser, nicht sprecht also,
Ihr seid nicht wohl bei Sinnen;
Nun laßt uns in ein' Kammer gahn
Und spielen der heimlichen Minnen.«

»Euer' Minne ist mir worden leid,
Ich hab's in meinem Sinne.
O Venus, edle Jungfrau zart,
Ihr seid ein' Teufelinne.«

»Tannhäuser, wie sprecht ihr also,
Bestehet ihr mich zu schelten?
Sollt ihr noch länger bei uns sein,
Des Worts müßt ihr entgelten.

Tannhäuser, wollt ihr Urlaub ha'n,
Nehmt Urlaub von den Greisen,
Und wo ihr in dem Land umfahrt,
Mein Lob das sollt ihr preisen.«

Der Tannhäuser zog wieder aus dem Berg,
In Jammer und in Reuen:
»Ich will gen Rom in die Stadt,
Allaus dem Papst vertrauen.

Nun fahr' ich fröhlich auf die Bahn,
Gott muß es immer walten,
Zu einem Papst, der heißt Urban,
Ob er mich wollt behalten.

Herr Papst, geistlicher Vater mein,
Ich klag euch meine Sünde,
Die ich mein' Tag begangen hab',
Als ich euch will verkünden.

Ich bin gewest ein ganzes Jahr
Bei Venus, einer Frauen,
Nun will ich Beicht' und Buß empfahn,
Ob ich möcht' Gott anschauen.«

Der Papst hatt' einen Stecken weiß,
Der ward vom dürren Zweig':
»Wann dieser Stecken Blätter trägt,
So sind dir dein' Sünd verziehen.«

»Sollt' ich leben mehr denn ein Jahr,
Ein Jahr auf dieser Erden,
So wollt' ich Reu und Buß empfahn
Und Gottes Gnad erwerben.«

Da zog er wieder aus der Stadt,
In Jammer und in Leiden:
»Maria, Mutter, reine Magd,
Muß ich mich von dir scheiden,

So zieh' ich wieder in den Berg,
Ewiglich und ohn' Ende,
Zu Venus meiner Frauen zart,
Wo mich Gott will hinsenden.«

»Seid willkommen, Tannhäuser gut,
Ich hab euch lang entboren (entbehrt),
Seid willkommen, – mein liebster Herr
Und Held mein, auserkoren.«

Darnach wohl auf den dritten Tag,
Der Stecken hub an zu grünen,
Da sandt' man Boten in alle Land:
Wohin der Tannhäuser wär' kommen?

Da war er wieder in dem Berg,
Darinnen sollt' er nun bleiben,
So lang bis an den jüngsten Tag,
Wo ihn Gott will hinweisen.

Das soll nimmer kein Priester thun,
Dem Menschen Mißtrost geben,
Will er dann Buß und Reu empfahn,
Sein' Sünd sind ihm vergeben.

Wilhelmus Neubrigensis im ersten Buche der Englischen Historie Kapitel 38 erzählt nachfolgende Geschichte: In der Provinz Deir, nicht weit von meinem Vaterland', hat sich diese wunderbare Geschichte zugetragen, welche ich von Jugend auf weiß:

Es ist ein Flecken, etliche Meilen Weges vom Orientalischen Meere gelegen, dabei die berühmten Wässer Vipsä genannt, aus welchem Flecken ein Bauer zu seinem Freund', im nächsten Flecken wohnend, ihn zu besuchen gezogen. Und als er in eiteler Nacht wieder nach Hause verreisen wollte, siehe! da hat er in dem nächsten Berge, welchen ich oft gesehen habe, der zwo oder drei Stadien vom Dorfe liegt, liebliche Stimmen der Sänger und ein lustiges Gelach' gehöret. Er verwunderte sich, wer dort an dem Ort in solcher Nacht, mit so herrlichen Freuden, der Nacht ihre Ruhe zerstört und hat solches selbst sehen wollen. Als er an der Seite des Berges eine offene Thür bemerkt, ist er hinzugetreten und hat hinein gesehen, allda er ein schön, weit und scheinbarlich Haus erblickt, so da ganz voll war von Mann und Weibspersonen, so da zu Tische saßen.

Einer aber aus den Aufwärtern, als er ihn gesehen an der Thüre stehen, hat ihm einen Becher gebracht, welchen, nachdem er ihn genommen, er mit Fleiß nicht hat wollen trinken, sondern hat ihn ausgegossen, den Becher behalten und ist schnell davon gerannt. Als sich ein Tumult in der Höle, wegen des Bechers, erhob und ihm etliche nacheileten, ist er mit seinem schnellen Pferde davon geritten und hat sich mit seinem Raube in den Flecken begeben. Solcher Becher von unbekannter Materie, einer seltsamen und ungewöhnlichen Farbe und Form, ist Heinrich, dem alten Könige von Engeland3), als ein Geschenk dargebothen und darnach der Königin Bruder David, König von Schottland, überschickt worden und ward viele Jahre in dem Schatze des Königs behalten, dann aber dem König Heinrich dem zweiten, so solchen zu sehen begehrte, wiederum vom König Wilhelm aus Schottland4) zugeschickt

Andere setzen auch den Venusberg an den Nursiner See in Italien, wo man die Venus lebendig in einer Höle zu sehen vermeint, die alle Wochen in eine Schlange sich verwandelte, und ward eine Wacht um die Höle gehalten, um die Leute abzuhalten, die mit Beschwörungen umgehen.

Quelle: Johann Gustav Gottlieb Büsching: Volkssagen, Märchen und Legenden, Leipzig, Reclam, 1812,


1)
Le chariot de roi Artus, ou le char du diable. Glossaire de la langue romane p. Rocquefort. I. 240.
2)
gleichgültig, unbedeutend
3)
Anmerkung Sagenwiki: Heinrich I. (englisch Henry I; * um 1068 in Selby in Yorkshire; † 1. Dezember 1135 in Lyons-la-Forêt in der Normandie) wegen seines Interesses an den Wissenschaften Henry Beauclerk oder Henry Beauclerc genannt, war von 1100 bis 1135 König von England. Heinrich war der jüngste Sohn Wilhelms des Eroberers und seiner Ehefrau Mathilde von Flandern. Quelle: Wikipedia
4)
Anmerkung Sagenwiki: Wilhelm I. der Löwe (Schottisch-Gälisch (mittelalt.): Uilliam mac Eanric, modernes Schottisch-Gälisch: Uilleam mac Eanraig (dt. Wilhelm, Sohn Heinrichs), engl. William I the Lion, William Dunkeld, William Canmore; * um 1142; † 4. Dezember 1214 auf Stirling Castle) war schottischer König. Mit 49 Jahren war seine Herrschaft die längste Regierungszeit eines schottischen Königs im Mittelalter und nach der Herrschaft von Jakob VI. die längste Regierung eines schottischen Königs. Quelle: Wikipedia