<<< zurück | Volkssagen, Märchen und Legenden | weiter >>>

Das gealterte Brautpaar

In Tilleda wohnte ein armer, aber frommer Tagelöhner. Seine Tochter war Braut von einem eben so dürftigen und redlichen Handwerker. Morgen sollte die Hochzeit sein. Die Gäste waren eingeladen, aber kein Mensch hatte daran gedacht, daß im ganzen Hause nur ein Topf, eine Schüssel und zwei Teller waren. »Was machen wir?« sprachen alle, und keiner wußte Rath! Endlich sagte der Vater, halb im Scherz, halb im Ernst: »Ei, geht auf den Kyffhäuser, vielleicht leihet euch die Prinzessin Alles.«

Das Brautpaar geht wirklich hin. Vor der Oeffnung des Berges steht die Prinzessin. Sie nahen sich ihr mit Knixen und Bücklingen, und bringen ihr Anliegen schüchtern vor. Die kaiserliche Hoheit lächelt, und befiehlt zu folgen, worüber Hans und Grete außer sich vor Freude sind. Die Prinzessin giebt ihnen nun erst zu essen, und dann packt sie ihnen mit ihren höchsteigenen unverweltlichen Händen einen großen Tischkorb voll Teller, Schüsseln, Löffel u.s.w. Hans und Grete bedanken sich schönstens, versprechen, morgen Alles unversehrt zurück zu liefern, und auch etwas Reisbrei und Hochzeitkuchen mitzubringen.

Wie eilten sie, nach Tilleda zu kommen, so schwer auch der zugedeckte Tischkorb war. Aber wie wurde ihnen, als sie ein ganz neues Tilleda vor sich sahen. An der Stelle, wo ihres Vaters Hütte stehen mußte, fanden sie einen großen Ackerhof. Kein Nachbarhaus war ihnen mehr kenntlich; kein Baum, kein Garten war mehr da, wo sie sonst dergleichen gesehen hatten. Lauter fremde Menschen, die sich um das Brautpaar versammelten, und es mit eben der Verwunderung und Neugierde ansahen, als dieses die Gaffenden betrachtete.

Sie setzten ihren Korb an die Erde, und überlegten ihr Schicksal. Da kam der Prediger. Grete ging auf ihn zu, klagte, daß sie Beide wie verrathen und verkauft unter den Leuten wären, erzählt ihm, daß sie gestern auf den Kyffhäuser gegangen sei, und kurz, sie macht ihn mit dem ganzen Abentheuer bekannt. Der Herr Pastor nahm darauf das Brautpaar mit in sein Haus, schlug das Kirchenbuch nach, und fand, daß Hans und Grete nicht länger als zweihundert Jahre in dem Kyffhäuser gewesen waren.

Quelle: Johann Gustav Gottlieb Büsching: Volkssagen, Märchen und Legenden, Leipzig, Reclam, 1812,