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Der Mädchensprung auf dem Oybin (nach Büsching)

Auf dem steilen, mit Klüften und Schluchten umgebenen Oybin zeigt man noch jetzt dem Wanderer eine Fel-senschlucht, welche der Jungfrauensprung genannt wird, und erzählt dabei drei verschiedene Sagen, die den Namen gegeben haben sollen.

1. Sage

Als noch das Kloster, dessen Ruinen man nur jetzt bewundert, auf dem Gipfel des Oybin stand, kam auch, wie, erzählt die Sage nicht, einst ein Mann hinauf, um die dortigen Geistlichen zu besuchen, wie dies häufig geschah. Einer der Brüder zeigte der Jungfrau die Schönheiten des Berges, führte sie herum zu den merkwürdigsten Plätzen, bei tiefen Schluchten vorbei und zeigte ihr die Pracht der Natur. Aber die Schönheit der Jungfrau erweckte sündliche Lust dem mit ihr einsam wandelnden Kloster Bruder und in sträflicher Begierde streckte er die Arme nach ihr aus. Da entfloh ihm die keusche Jungfrau, flüchtete die verschlungenen Wege entlang, verfolgt von dem nicht mehr sich selbst kennenden Mönch. Glaubend an eine sichere Stätte zu kommen, rann sie durch die unbekannten Pfade, bis plötzlich eine tiefe Spalte des Berges, eine ungeheuere Kluft, vor ihr lag. Da, um ihre Tugend zu retten, sprang sie muthig in den Abgrund hinab und die Engel des Herrn ergriffen die Sinkende und trugen sie sanft hinab, ohne einigen Schaden.

2. Sage

Einst kam ein Jäger auf den Oybin und wandelte durch die labyrinthischen Gänge. Auch ein Mägdlein aus dem am Fuße des Berges liegenden Dorfe war heraufgestiegen und begegnete dem Waldmann, der, in sinnlicher Begierde, die schöne Beute sich nicht entgehen lassen wollte und auf sie zueilte. Wie ein gejagtes Reh stürzte sie durch die Felsenpfade, der Abgrund öffnet sich drohend vor ihr, sie springt hinab und kommt unversehrt auf den Boden nieder.

3. Sage

Im Jahre 1601, am Tage Johannis des Täufers, als eine große Menge Menschen aus Zittau und den benachbarten Dörfern, der Gewohnheit nach, den Oybin besuchten, befand sich unter ihnen ein rasches Mädchen, die mit ihren Gespielinnen auch an diesem Orte sich umsah. Man scherzte, und jenes Mädchen wagt' es auf eine Wette, über diese Kluft wegzusetzen. Damals trugen noch die meisten Frauenzimmer, auch die vom Stande, Pantoffeln. Im Springen glitscht ihr der Fuß aus dem glatten Pantoffel und sie fiel hinunter. Da sie aber, nach damaliger Sitte, einen tüchtigen Reifrock an hatte, der sie vor dem schnellen Falle schützte, so ward sie durch Hülfe desselben in die Kluft gleichsam hinunter geschoben und kam ohne Nachtheil hernieder.

Quelle: Johann Gustav Gottlieb Büsching: Volkssagen, Märchen und Legenden, Leipzig, Reclam, 1812,