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Rübezahl läßt ein Kleid machen

Vor gar langer Zeit ist der Rübezahl nach Liebenthal zu einem Schneider, in Gestalt eines fremden Junkers, gekommen und hat sich von schönem Tuche ein Kleid zuschneiden lassen, welches er um eine gewisse Zeit hat abhohlen wollen. Aber was geschieht? Wie erstlich der Schneider das Kleid zuschneidet, da legt er das Tuch doppelt, gedenkend: es werde solches der Edelmann nicht merken. Zum andern tauschte der listige Vogel das Tuch aus und that zum Kleide eine andere Gattung hin und verfertigte davon das bedungene Kleid, welches er auch dem Edelmanne, wie darnach geschickt wird, verabfolgen läßt, wiewohl der Schneider das Macherlohn nicht zugleich mit bekommen hat, sondern nur die Versprechung auf die und die Zeit, da es der Edelmann selber ihm hat überreichen wollen.

Was geschieht? Der Schneider meinte zuerst, er habe treflich gefischt und wollte nunmehr das gestohlene Gewand sehr wohl zum eigenen Nutzen anwenden. Aber wie er's recht beschauet, da war es eine große Decke von Schilf, darein die Kaufleute ihre Waaren zu packen pflegen. Vor's andere nahete auch die bestimmte Zeit heran, da der Edelmann hatte abzahlen wollen. Siehe, da trägt es sich unverhoft zu, daß der Schneider eine nöthige Reise über das Riesengebirge vornehmen muß. Wie er aber nunmehr unter Weges gewesen, da kommt in aller Herrlichkeit der Rübezahl auf einer großen Ziege hergetrabt, und hat ihm selber eine Nase gemacht, über eine halbe Elle lang, und in solcher Stellung schnurgleich auf Meister Hansen loß gezuckelt, welchen die verwandte Ziege etlichemale mit bekannter Stimme angemöckert und gleichsam den Meister willkommen, auf ihre Art, genennt hat. Der Rübezahl hat nicht minder seiner Rede nicht geschont, sondern vielmal geschrien: »Glück zu, Meister! Glück zu, Meister! wollt ihr euer Macherlohn für mein Kleid hohlen, das ihr mir vergangen zugeschnitten und ich jetzt gleich am Leibe habe?« Inmittelst möckerte die Ziege ihr: »Meister, Meister,« immer fort. Der Schneider aber erschrak, wie sehr er auch vorher über den seltsamen Reiter gelächelt hatte und gedachte nunmehr gar wohl, daß er für seine Diebes-Stückchen würde den verdienten Lohn überkommen.

Darauf höhnte ihn denn Rübezahl meisterlich aus und zog ihn mit dem vermeinten Diebstahl des Tuches wacker durch, sagend: »Wie steht's, Bruder, haben wir nicht etwas zu schachern? Hast du nicht neulich etwas gefuschert und von einer oder der andern Sache etliche Stückchen abgezwackt, oder hinter den Ofen geworfen und gesprochen: das soll der Teufel haben? Oder hast du nicht etwas nach den Mäusen geworfen und etliche feine Bischen erübrigt?« Der Schneider aber verstummte und sprach nichts. Darauf fuhr der Ziegenbereiter weiter fort und sagte: »Es müssen ja alle Schneider stehlen. Dazu ihnen flugs die allerersten Schneider und Menschen auf der Welt Anlaß gegeben haben, nehmlich sie haben sich Schürzen von Feigenblättern gemacht, dadurch sie die Bäume beraubt haben. Es mußte der Anfang der Schneiderei nicht ohne Diebstahl sein, sollte auch gleich der Feigenbaum einbüßen müssen und sich, wegen des ersten Kleides, bestehlen lassen.« Endlich sprach der Rübezahl zum überzeugten Schneider: »Gehe, du Hudler, gebrauche dich fortan mehr deiner Nadel zum enge nähen, und nicht weite Stiche zu thun, als deiner Fäuste zur Abzwackung. Laß den Leuten das Ihrige und nimm ihnen weder von den übrigen Knöpfen, oder Seide und anderen übergebenen Sachen hinführo nichts mehr. Bleibe und halte dich an dein richtiges Macherlohn, das du, Lumpenhund, hoch genug steigern kannst, und suche deinen Vortheil nicht mehr an ungebührlicher Unterschlagung, oder ich will dich nach diesem Uebel zerschlagen und ärger willkommen heißen, als diesemal geschehen ist.«

Darauf zuckelte er mit seiner großen Ziege und langen Nase immer davon und ließ den Schneider stehen. Doch that er ihm dieses noch fürder zum Schabernack an, daß so oft der Schneider eine Ziege hat möckern hören, er stets gemeint habe, es rufe ihm ein Mensch und sagte: »Meister, Meister.« Wie es denn auch soll geschehen sein, daß dieser Schneider, aus unrecht hören, einmal zum Ziegenbocke hingegangen sei, fragend: »Herr, wollt ihr ein Kleid zuschneiden lassen?« da ihm der Bock zur Antwort gegeben hat: »puff!« Nehmlich er stieß ihn mit den Hörnern in die Rippen, daß es pufte.

Quelle: Johann Gustav Gottlieb Büsching: Volkssagen, Märchen und Legenden, Leipzig, Reclam, 1812,