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Rübezahl narrt einen Junker

Im Jahr 1512 hat einer von Adel, ein rechter Tyrann und Wüterich, einem seiner Unterthanen oder Bauern auferlegt, er solle ihm eine überaus große Eiche auf dem Wagen mit seinen Pferden und seinem Wagen heimführen, mit heftiger Bedräuung höchster Strafe und Ungnade, wenn er solches nicht thun und solchem Befehl nicht nachkommen würde. Der Bauer sah, daß es ihm unmöglich war, seines Junkers Befehl zu verrichten, und ist daher mit Seufzen und großer Klage in den Wald gegangen. Da kömmt zu ihm der Rübezahl in eines Menschen Gestalt und fraget, was die Ursache sei solches seines Herzeleids und seiner Kümmerniß? Demselbigen erzählt der Bauer den ganzen Handel nach einander. Der Rübezahl spricht: er solle gutes Muthes und unbekümmert sein und nur wiederum heim zu Hause gehen; denn er wolle die Eiche seinem Junker oder Lehnherrn bald und ohne Verzug in seinen Hof führen.

Als nun der Bauer kaum recht heim gekommen war, nimmt der Rübezahl die große, ungeheure, schwere Eiche, sammt ihren dicken und starken Aesten und wirft sie dem Edelmann vor seinen Hof und vermacht und versperrt ihm mit dem Stamme und den großen ungeheuren Aesten dermaßen das Thor, daß er weder ein noch aus hat kommen können. Und dieweil die Eiche härter als der Stahl worden war, also, daß sie auf keinerlei Weise und Wege, auch mit ganzer Gewalt, nicht konnte zerhauen oder zerschlagen werden, hat der Edelmann, aus unvermeidlicher Noth, an einem andern Orte im Hofe müssen durch die Mauer brechen und ein neues Thor, nicht ohne große Beschwerniß und Unkosten, machen lassen.

Quelle: Johann Gustav Gottlieb Büsching: Volkssagen, Märchen und Legenden, Leipzig, Reclam, 1812,