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Der Ueberfall zu Calbe an der Milde

  Nach Pröhle a.a.O. S. 73 etc.

Um die Ruinen der alten Burg zu Calbe an der Milde, jetzt schlechthin die Burg genannt, erstreckt sich noch jetzt ein an den Rändern mit Schilf zugewachsener breiter Graben, der zum Schutze der ganz in der Ebene liegenden Burg zu den Zeiten des Raubritterthums gedient hat, und jetzt kaum noch halb so breit wie früher ist, so weit erstreckt sich schon seine Trockenlegung. Die Burg, früher ein Tummelplatz der Raubritter, und wegen ihrer Festigkeit und guten Lage im Bruch und Moor von den Kaufleuten und Reisenden weithin gemieden, ist jetzt verfallen, nur einzelne Mauern stehen noch und geben Zeugniß von der festen Bauart. Ein Haus, welches jetzt zur Wohnung dient, war früher ein Gefängniß. Noch vor 8-10 Jahren sah man auf dem einzigen Eingangswege die Stumpfe der Balken, die einst die Zugbrücke trugen, und vor ohngefähr 60 Jahren konnte man die bunten Glasscheiben in einzelnen noch bewohnbaren, aber verfallenen Gemächern finden, wie sich einzelne alte Leute des Ortes noch ganz wohl erinnerten.

Mit dem Verfalle der Burg hatte es aber folgende Bewandtniß. Von denen von Alvensleben, die noch jetzt auf dem Gute zu Calbe an der Milde wohnen, hatte der letzte, der den Fall der Burg hervorrief, in Fehde gelegen mit mehreren Rittern der Umgegend. Es wurde ein Vergleich bei der Tauffeier eines der Alvensleben'schen Kinder verabredet. Die Ritter kamen und ritten auf dem engen Wege nach der Burg vor, passirten ganz friedlich die Zugbrücke und im selben Augenblicke ihre im Hinterhalte gelegenen Knappen und Reisigen hinterdrein, überwältigten die Burgmannschaft und ließen sie über die Klinge springen. Dem Herrn hieben sie die Hände halb ab, der Frau die Daumen; das Kind, dessen Tauffeier die Veranlassung zu dem Anschlage war, soll mit der Amme über den breiten Burggraben im Nachen entkommen, die goldene Wiege des Kindes aber in den Burggraben gefallen sein und noch jetzt des glücklichen Finders harren.

In der Kirche zu Calbe unterhalb des Orgelchores sieht man den Burgherrn und die Burgfrau mit den abgehauenen Gliedern beinahe in Lebensgröße in Stein gehauen, die abgehauenen Finger liegen lose im Helme, der vor dem Burgherrn steht. Seitdem ist die Burg verfallen, sie soll im 30jährigen Kriege noch von den Franzosen als fester Punkt besetzt worden sein und bietet ihre alten Mauern jetzt zu Wohnungen der Gutstagelöhner und als Material zu Neubauten dar, wozu viele der alten Feldsteine verwendet werden. Die Burg hatte so viel Land innerhalb des Grabens und im Bereiche der Schießwaffen der Besatzung, daß diese ohne Proviant blos vom Ertrage dieser Ländereien sich halten konnte.

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 220-221