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Der Kobold in Lichterfeld

  Nach Temme S. 57 etc.

Einmal zeigte sich in dem Dorfe Lichterfeld in der Wische ein boshafter Kobold. Dort hatte einmal ein Bauer Korn in die Stadt gefahren; wie er zurückfuhr, fand er mitten auf dem Wege einen ganz neuen Kober, der sorgfältig mit Stricken zugebunden und versiegelt war. Der Bauer glaubte einen reichen Fund gethan zu haben; er hob voller Freuden den Kober auf und nahm ihn mit sich nach Hause. Hier öffnete er ihn geschwind, um zu sehen, was darin sei, fand ihn aber zu seiner Verwunderung ganz leer, als er hinein faßte. Hinein konnte er nicht sehen, denn es war tief am Abend, und Licht hatte er nicht angezündet. Noch mehr verwunderte er sich aber, als er sich etwas bewegen und ganz leise, aber geschwind aus dem Kober herausschlüpfen hörte. Das war ein Kobold gewesen, der noch an demselben Abend sein Treiben in seinem Hause begann.

So wie der Bauer Licht angezündet hatte, warf er ihm dasselbe vom Tische, kehrte Tische und Bänke um und machte einen so argen Lärm, daß man wohl sehen konnte, er müsse lange in dem Kober gesessen haben und wolle sich nun dafür etwas lustig machen. Einmal warf er eine Fischgabel mit solcher Gewalt gegen die Stubenthüre, daß sie darin stecken blieb und alle Knechte des Bauern kommen mußten, um sie wieder herauszuziehen. Der Bauer wendete alle Mittel an, um den Kobold wieder einzufangen, es wollte aber nichts helfen. Er warf umsonst die theuersten Näschereien in den Kober, und wartete in seinem Verstecke Stunden lang, daß jener kommen und naschen möchte, denn er hatte gehört, daß die Kobolde gern etwas Gutes zu sich nehmen. Der Kobold that ihm aber den Gefallen nicht und Zaubermittel halfen auch nichts gegen ihn.

Unterdeß hatte sich das Gerücht von dem Kobold in der ganzen Wische verbreitet, und es kam einstmals ein Bekannter des Bauern auf einem wilden Hengste geritten, um ihn zu besuchen und etwas Neues über den Kobold zu erfahren. Schon an der Hofpforte rief er dem Bauern zu: Nun wo hast Du denn Deinen Teufel? Der Kobold aber saß gerade vor der Pfortenthür; wie der die Worte hörte, sprang er geschwind auf das Pferd des fremden Bauern und kniff und kratzte es, daß das Pferd wie toll davon lief. Der Bauer ward gleich abgeworfen und das Pferd lief weiter. Nicht lange darauf kam es an einen Weidenbaum, unter dem lief es in der Angst durch und streifte so den Kobold ab. Von dieser Weide kann er nun nicht herunter, und dort treibt er sein Wesen; er sitzt dort noch bis auf den heutigen Tag, und läßt, sobald der Abend kommt, keinen Menschen ungeneckt vorübergehen. Der in dem zweiten Viertel dieses Jahrhunderts noch lebende Schäfer zu Hindenburg wußte viel dergleichen Streiche von ihm zu erzählen.

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 215-216