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Der Arendsee in der Altmark

  Nach Beckmann Th. IV. S. 1075 etc. 
  Bechstein, Deutsches Sagenbuch S. 290.

Einer der merkwürdigsten Seen in der ganzen Altmark ist der große See bei Arendsee, sonst selbst auch der Arendsee genannt, auf dem Postwege von Havelberg nach Hamburg, ein Wasser von großer Tiefe, die sich auf 20-30 Klafter und darüber erstreckt, in dessen Grunde auch gleichsam Hügel und Thäler sich befinden und daher die Ungleichheit auch den mißlichen Fischfang verursacht. Der Umfang desselben ist ohngefähr eine deutsche Meile und liegt er an dem Städtchen und Kloster Arendsee, allwo er ein hohes Ufer von etlichen Klaftern, sonst aber größtentheils ein flaches aus Sand und Lehm bestehendes Ufer hat.

Er hat, so viel man sehen kann, außer einem Bach, der in dem Dorfe Schrempe zur Winterszeit eine Mühle treibt und 1184 in Otto's I. Begiftung des Klosters Arendsee Biede genannt wird, keinen sonderlichen Zufluß, auch keinen Abfluß außer einem Bach nach Sitzo zu, vergrößert sich auch nicht bei feuchtem oder verändert sich bei trocknem Wetter. Jedoch ist wahrgenommen worden, daß, wenn die Elbe, als welche nicht über zwei Meilen von ihm entfernt ist, wächst, dieser sich auch vergrößert, und wenn jene fällt, dieser sich auch merklich vermindert.

Man bemerkt aber, daß, wenn er zufrieren soll, welches um die heil. drei Könige geschieht, er vorher wie ein Backofen raucht und dabei ein entsetzliches Geheul, Getöse in der Luft und Krachen auch in der Ferne gehört wird, welches auch dann geschieht, wenn ein starkes Ungewitter, Sturmwind oder Thauwetter entstehen soll. Wenn er sich auch setzen oder das Eis losgehen will, so läßt sich ein Geprassel hören, als ob ein Ungewitter vorhanden wäre, welches jedoch wohl dem sinkenden und brechenden Eise beizumessen ist.

Es wird auch vorgegeben, daß wenn es blitzt, sollen die Netze in dem Seesand verbrennen, welches sich aber nicht so verhält. Jedoch sagen die Fischer einmüthiglich, daß die Netze alsdann mürbe würden und über 14 Tage nicht mehr hielten. Es wird auch vorgegeben, daß der See zu Zeiten viele Nadeln, sogar auch alte unkennbare Münzen ausgeworfen, welches man jedoch bei geschehener Untersuchung ungegründet gefunden hat.

Das Allermerkwürdigste ist aber bei diesem Wasser sein Ursprung, denn ums Jahr 815 unter dem Kaiser Ludwig dem Frommen ist er mit einem Male in einer Nacht bei einem Erdbeben mit entsetzlichem Krachen entstanden, da zuvor daselbst ein fester Boden, oder wohl gar ein Städtchen oder Dorf gestanden hat, solches aber versunken ist und den See hinter sich gelassen hat.

Im Jahre 1685 den 25. November als am St. Katharinentage ist ein starker Sturmwind von Nordwesten entstanden, welcher an verschiedenen Orten großen Schaden gethan, wobei um das Städtlein Arendsee aber zugleich einiges Erdbeben verspürt worden, dabei um 2 Uhr Nachmittags das Wasser aus dem See mit einer großen Bewegung aufwärts zu steigen begonnen und bei 23 Kohlgärten, so an dem See gelegen, nach und nach verschlungen, dergestalt, daß die Erde in diesen Gärten etwa eine Elle breit oder auch noch etwas mehr, immer ein Stück nach dem andern Borsten bekommen und diese darauf in den See gesunken sind. Das Wasser hingegen hat sich von unten auf immer mehr aufgeworfen, durch die hinein gefallenen Stücke in die Höhe getrieben, ist es durch die Gewalt des Sturmes mit Sand vermengt wie durch eine gewaltige Spritze daraus stark und hoch in die Höhe gestiegen, hat nächst den Kohlgärten einen Hügel nach dem andern hinuntergerissen, auch endlich eine Windmühle, welche ziemlich hoch gestanden, ergriffen, welche erstlich angefangen zu wanken, daß der Müller mit einer Magd kaum mit Herabsteigen und Springen sich hat retten können, darauf aber mit sammt dem Hügel gleichfalls untergegangen und damit zugleich vier Wispel theils Roggen theils Mehl verdorben und nur vier Säcke Mehl ausgefischt worden. Das Holzwerk ist aber fast alles zu Trümmern gegangen, welches Alles binnen einer Stunde von 2 bis 3 Uhr Nachmittags geschehen, und sieht man jetzt an dem Orte, wo diese Gärten, Hügel und Windmühle gestanden, eine Tiefe von ohngefähr 20 Klaftern. Der Ort selbst aber zeigt sich wie eine große Bucht oder Kessel, dessen Krumen sich etwa auf 3000, die Breite aber auf 300 Schritte erstreckt. Der Müller hat eidlich bekräftigen wollen, daß drei Nächte zuvor, ehe diese Stürzung geschehen, des Nachts zweimal hinter einander sich eine Stimme hat hören lassen: »Müller heraus, nur bald fort!« und da er herausgesehen, hat er doch Niemand bei der Wassermühle vernommen, die Windmühle aber hat, ehe der Sturm entstanden, etliche Male geprasselt, gleich als wenn Alles darauf in Stücken zerginge, so der Müller aber dennoch in Allem richtig befunden.

Man hat hierauf in dem Städtlein den Beschluß gefaßt, jährlich diesen Tag als einen Buß- oder Festtag mit Gebet, Predigen und Singen zu begehen, welches auch etliche Jahre mit ziemlichem Eifer geschehen, jetzt aber davon nachgelassen und ziemlich lau fortgesetzt worden ist. Man sagt, daß bisweilen, wenn die Sonne recht scheint und wenn es recht still ist, in der Tiefe die Mauern eines gesunkenen Schlosses, welches früher an jener Stelle gestanden haben soll, zu sehen seien. Als Einige einmal die Tiefe des Sees ergründen wollten, und aus einem Schiffe ein Seil herabließen, ward plötzlich an dem Seile gezuckt, und als sie es heraufgezogen, war ein Zettel daran befestigt, auf welchem aus Hiob stand: »Willst Du der Welt Lauf achten, darinnen die Ungerechten untergegangen sind? Die vergangen sind, ehe denn es Zeit war, und das Wasser hat ihren Grund weggewaschen.« Und die im Schiffe saßen und das lasen, erbebten und ließen ab von ihrem Vorhaben.

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 189-191