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Von der Grausamkeit der Wenden

  Alberic. Monach. in Chronic. P. I. p. 39 
  ed. Hannov. 1698. Sancti Bonifacii Epistola ad Ethebaldum, 
  Zeillerus, Theatrum tragicum 1634. p. 341. 
  A. Frenzel, Von den Völfern in der Lausitz. Msc. S. 87. 
  Loocke, Chronit von Guben S. 15.

Die Sorben in der Lausitz hatten manche barbarische Sitte aus dem fernen Asien mitgebracht. Wenn z. B. ein Ehemann starb und eine Wittwe hinterließ, so wurde diese bei lebendigem Leibe auf den Scheiterhaufen gelegt zu dem Leichnam des Ehemannes und wurde also mit demselben zugleich verbrannt. Solches geschah aber nicht etwa mit Zwang, sondern freiwillig und unter großem Freudengeschrei.

Bei den Sorbenwenden der Lausitz herrschte zu Heidenzeiten der schändliche Gebrauch, daß man sich der alten Leute, die zu nichts mehr tauglich waren, auf eine grausame Weise entledigte. Der eigne Sohn schlug seinen Vater todt, wenn er alt und unfähig wurde, oder er warf ihn in's Wasser, oder er stürzte ihn von einem hohen Felsen hinab. Ja, es sind dergleichen Beispiele selbst noch zu christlichen Zeiten vielfältig vorgekommen.

Herr Levin von Schulenburg, Ober-Amts-Hauptmann in der Altmark, so um's Jahr 1530 einstmals unter den Wenden gereiset, da etliche einen alten Mann geführet, die er gefragt: Wohin mit diesem Alten? Darauf sie geantwortet: „Zu Gott! meineten sie wollten denselben Gott aufopfern, weil er mit Arbeiten seine Nahrung nicht gewinnen könnte!“ Als der Hauptmann dieses verstanden, hat er den Alten mit Gewalt entledigt, ihn mit sich heim genommen und zu einem Thorwächter gemacht, in welchem Dienste er noch zwanzig Jahr gelebt und zugebracht haben soll.

Anmerkung:

1. Eine ältere Erzählung aus Raue, Cosmographia p. 515 citirt Mühlwolff in seiner handschrifti. Chronik von Budissin. Eine Gräfin von Mannsfeld findet in der (ebenfalls von Wenden bewohnten) Lüneburger Haide einen Bauer, der ein Grab gegraben hat, um seinen daneben stehenden jammernden Vater hineinzulegen. Dies war im J. 1297. - Das obige Datum 1580 ist von erschredender Neuheit.

2. Die letzte Spur dieser grausamen Sitte finde ich in dem wendischen Liede (Haupt und Schmaler 11. S. 94 ):

Schlaf, Alter, ein!

Junger du mußt frei'n!

Nach dem Alten mit den Steinen,

Nach den Jungen mit den Aepfeln;

Schlaf, Alter, ein!

Junger du mußt frei'n!

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862