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Der Eberzahn

  Gräve S. 191.

Zu Kreckwitz residirte einst ein Herr von Nostitz; der war ein leidenschaftlicher Jäger und hatte nichts so lieb, als Jagdgeschrei und Hörnerklang. In seinem Walde war ein wilder Eber, der ringsum die Gegend in Schrecken setzte, dem war er wohl auf der Spur, hatte ihn aber noch nicht erlegen können. Eines Nachts träumte ihm, er jage den Eber, aber der kehre sich um und tödte ihn mit seinen Hauern. Der Traum war so lebhaft, daß er die Angst vor dem Eber nicht wieder los werden konnte, und ihm die Jagd von Stund an verleidet wurde. Es fiel ihm daher wie ein Stein vom Herzen, als eines Tages seine Leute den Eber getödtet in den Schloßhof brachten. Freudig eilte er in den Schloßhof, besah den gewaltigen Keuler und die Hand auf den Zahn legend, der ihm im Traume so verderblich gewesen war, rief er lachend: Nun wirst du mir nichts mehr thun! Unversehens schlitzte er sich an dem scharfen Eberzahne die Hand, sie gerieth in Entzündung und nach drei Tagen war er todt. So ging der Traum doch in Erfüllung.

Seitdem läßt sich der Eber am Abende des St. Hubertustages sehen; sein Rachen haucht Flammen aus und wehe dem, der ihm begegnet. Der Eber würde ihn anfallen und sein Zahn ihn unfehlbar tödten.

Anmerkungen: Keine gewöhnliche Divinationssage. Von Hans von Hackelberg und dem Jäger Bärens, den wilden Jägern im Harz, wird ganz dasselbe erzählt. Der Eber ist aber derselbe, der den Odin im Schlafe tödtet, als er seinen Lauf (durch den Thierkreis) vollendet hatte und in einer Höhle schlummerte. Deshalb wird auch zur Sommersonnenwende Odin das Julschwein geopfert. Ebenso tödtet Mars den Adonis und Typhon den Osiris in Gestalt eines Ebers. Ein Riese in Ebergestalt tödtet den Siamesischen Lichtgott Som on ak odom. Der phrygische Sonnengott Attys ward auf der Eberjagd von Adrast getödtet. Die Syrer nennen den Junius, in welchem Monde alle diese Todesfälle sich ereigneten, den Schweinsmonat (Chausiran). Ebenso sah Balder seinen in der Sommerwende erfolgenden Tod im Traume voraus. Der im Schlamme wühlende, im Finstern hausende Eber ist der natürliche Feind aller Lichtgottheiten.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862