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Rübezahl verliert seinen Mantel mit Absicht

»Wenn ich nur den Rübezahl ein einziges Mal sehen sollte«, sagte der Knecht eines Görlitzer Tuchhändlers, der vom Schömberger Markt übers Gebirge zurückfuhr, »wenn ich nur den Rübezahl ein einziges Mal sehen sollte.«

»Narr«, versetzte der Herr, »halt du dein Maul und fahr zu.«

Der Knecht hielt also auch sein Maul und fuhr zu, und bald waren sie in Herrnsdorf, wo damals noch kein Wirtshaus war, und sahen vor sich den Pass mit all seinen Strapazen.

»Halt, Gottlieb«, rief da der Herr,» wir möchten hier den Rösslein etwas Ruhe gönnen und ihnen ein Fütterlein geben, damit sie den Pass kräftiger übersteigen.«

Der Gottlieb hatte sein Bedenken wegen des Aufenthalts.

Der Herr aber meinte: »Was Aufenthalt! Das Vieh bedarfs, und nach Schmiedeberg werden wir schon auch noch kommen, und ist es nicht schnell, so ist es langsam, und Rom ist auch nicht an einem Tag gebaut worden.

Wenn der Kräuterklauber von Rom hört, so schwillt ihm der Kamm, denn er hat einmal von einem, dessen Großvater dahin gewollt hatte, erzählen gehört, und ist seitdem dort zu Hause. Er muss also den geneigten Leser, der von Rom nichts weiß, sehr bedauern und ihm erklären, dass Rom eine Stadt in Welschland ist und einen Herrn hat, so fast der liebe Gott selber ist.

Nun, der günstige Leser braucht dabei auch nicht so spöttisch auszuschauen. O, der Kräuterklauber ist auch nicht so ganz ohne und weiß recht gut, dass der, welcher Rom gebaut hat, von den Deutschen abstammt, wenigstens halb, denn seine Mutter war, wie ihm ein sehr gelehrter Herr für gewiss berichtet, eine Westfälin, ja, eine Westfälin.

Der Kräuterklauber bittet den günstigen Leser, der hier das Maul verzieht, sich ihm nicht ungünstig zu machen, sintemal er es nicht wohl vertragen kann, dass man lacht, wenn er gerade ein Historikus ist. Aber freilich wissen solche Sachen Tausende nicht, glauben es auch nicht, und selber in Westfalen.

Also die Reisenden hielten an, gaben den Pferden ein Fütterlein und fuhren hierauf weiter das Gebirge hinauf.

Das geht langsam, dachte der Herr, du willst die Langeweile verschlafen. Und damit schlief er ein. Während des Fahrens begegnete den Leuten ein vornehmer Herr auf einem vortrefflichen Ross und hatte einen prachtvollen Scharlachmantel umgehängt, der mit Gold und Edelsteinen überdeckt war. Der Knecht konnte sich an der Pracht gar nicht satt sehen, und der Herr war schon vorbei, da sah er, wie ein Wendehals das Gesicht auf dem Rücken, ihm immer noch nach. Plötzlich verlor der Herr den Mantel und sah es doch nicht. Eine Weile wartete der Knecht und lauerte, ob der vornehme Herr zurückkommen würde, seinen Mantel zu suchen. Da der aber nicht kam, so holte er den Mantel als gute Beute, legte ihn wohlverdeckt auf den Wagen und fuhr weiter. Er war jedoch noch gar nicht weit, so blieben die Pferde stehen und wollen nicht weiter, so tapfer er auch ihnen aufhaute, brausten und schäumten, bäumten sich auf und wollten endlich gar davon, sodass der arme Mensch seiner Angst kein Ende wusste.

So fest der Herr nun auch schlief, so ein Lärmen wie hier hätte auch allenfalls einen Toten aufwecken können. Er wachte also auf und fragte, was vorgegangen sei, denn sonst seien seine Rosse ja ganz ruhig und gutartig. Der Knecht wollte indessen mit der Sprache nicht heraus und sagte, er wisse nicht, woher das rühre. Er mochte dabei wohl etwas verlegen ausgesehen haben, drum ging ihm der Herr auf den Leib. Hier müsse etwas vorgegangen sein, sagte er, und er soll es ihm nur gestehen, damit sie nicht noch Unglück hätten und Schaden nähmen. Da gestand denn der Bursche die Sache und der Herr erschrak.

»Flugs nimm den Mantel«, sprach er, »und trage ihn dahin, wo du ihn gefunden hast.«

Der Knecht lief sogleich fort und legte den Mantel wieder hin, wo er ihn gefunden hatte. Sogleich waren die Rosse wieder ruhig. Als die Reisenden weiterfuhren, so zogen sie den Wagen ohne Hindernis das Gebirge hinan. Doch kaum waren sie wieder ein Stück gefahren, so lag der Mantel wieder am Weg. Da wurde es dem Herrn unheimlich und dem Gottlieb noch unheimlicher.

Der Herr sagte: »Gottlieb, schau dich nicht um und fahr zu.«

Der Gottlieb fuhr nun auch zu, sah sich weder rechts noch links um und war nur froh, dass er mit einem blauen Auge davongekommen war. Freude machte es ihm aber hinterher doch, dass er nun Rübezahl gesehen hatte.

Nun leider sind viele Leute so wie der Gottlieb und glauben, wenn sie etwas finden, sie hätten ein Recht, es zu behalten, und empfinden dann die Gewissensbisse erst hinterher, wenn nicht etwa gar der erste Schritt andere nachzieht. Und wenn so einer aus Scham und Reue oder um es zu vergessen, sich nicht etwa schon an etwas gehängt hat, zum Beispiel an ein Weinfass oder eine Frau usw., so kann er es am erstbesten Strick, sich selber ausgenommen, woran jeder ohnehin nur zu sehr hängt, immer noch nachtun.

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