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Die unheimlichen Gäste in Werda

  Köhler, Volksbrauch im Vogtlande, S. 537

In dem Dorfe Werda bei Oelsnitz lebte ein junger Mann, der saß an einem Sonntagsabende im Winter ganz allein zu Hause und hatte ein Buch aus einem alten Schranke zur Hand genommen, um darin zu lesen. In dem Buche aber waren verschiedene Zeichen und Figuren, die er sich nicht sogleich ausdeuten konnte. Deshalb zog er die Lampe näher an sich heran, um besser sehen zu können. Als er nun so eine Weile im Lesen und Ausdeuten vertieft war, blickte er zufällig in die Höhe, fuhr aber wieder erschrocken zurück, denn zu dem kleinen Schiebfenster herein sieht ein rabenschwarzer Mann mit grinsendem Gesichte.

Der Bursche fragt nach seinem Begehr, erhält aber keine Antwort. Nachdem er sich vom Schreck ein wenig erholt hatte, liest er ruhig weiter und ist bemüht, die Figuren ordentlich zu deuten. Er sieht sich wieder um und wird zu seinem Schrecken gewahr, daß zu jedem Fenster ein schwarzer unheimlicher Gast hereinsieht. Dabei ist er auf seinem Sitze wie festgebannt und er kann fast kein Glied mehr regen. Jetzt will er das Buch zumachen, denn es flimmert und tanzt ihm Alles vor den Augen.

Aber wie von einer unsichtbaren Macht gefesselt, kann er seinen Blick nicht von dem Buche abwenden und er fängt wieder an zu lesen. Jetzt aber entsteht im Hause ein großes Gepolter und Getöse; auf einmal fliegt die Thüre auf und ein langer schwarzer Mann kommt zur Thüre herein und bleibt in der Mitte der Stube stehen. Der Lesende fragt zum zweiten Male, was sein Begehr sey, erhält aber wieder keine Antwort. Dabei muß er in dem Buche immer weiter lesen, und es dauert gar nicht lange, so geht das Gepolter von Neuem los und eine zweite schwarze Gestalt tritt in die Stube und stellt sich neben die erste hin. Ohne von seinem Buche aufzusehen, liest der Bursche immer fort. Jetzt aber thut es einen Schlag, daß das ganze Haus in seinen Grundfesten erschüttert wird, Fenster und Thüren springen auf, ein blitzähnlicher Schein fährt durch die Stube und eine dritte Gestalt, länger als die beiden ersten und noch wilder von Aussehn tritt dabei in Begleitung von allerhand Thieren, als Raben, Eulen und Elstern, in die Stube und stellt sich nun zwischen die beiden ersten hinein.

Jetzt aber wird’s unserem Geisterbeschwörer himmelangst und er ruft aus vollem Halse um Hilfe. Es dauert aber lange, ehe die gewünschte Hilfe kommt. Endlich kommt der Bruder des Burschen mit noch einigen Nachbarssöhnen nach Hause und diese sehen nun, was vorgefallen ist. Der Sohn des Wirths, der auch mit hinzugekommen war, läuft sogleich zum Pastor des Ortes, der auch erscheint, dessen Kraft aber zu schwach ist. Er giebt den guten Rath, es solle doch gleich einer nach Theuma zum Pater reiten, der könne Hilfe schaffen. Ohne sich lange zu besinnen, reitet der Sohn des Wirths nach Theuma und erzählt daselbst dem Pater, was vorgefallen ist.

Derselbe läßt sich bewegen mitzukommen, und da er ankommt, ist bereits das halbe Dorf vor dem Hause versammelt und sogleich beginnt er seine Beschwörungen. Es dauert auch nicht lange, so entfernen sich die ungebetenen Gäste, nur der letzte hielt noch Stand und wollte nicht weichen. Als aber der Theumsche Pater ein großes Buch aus der Tasche zog, entfloh er unter fürchterlichem Gebrause durch den Schornstein und ließ einen Schwefelgeruch zurück. Das Buch aber, welches der Bursche gebraucht hatte, nahm der Pater mit und ermahnte noch den jungen Mann, solche Sachen fernerhin zu lassen und nichts zu unternehmen, was er nicht verstehe.1)

Anmerkungen:

Das Buch, in welchem der Bursche las, ist Faust´s Höllenzwang, von dem uns der Volksmund erzählt. Ähnlich wie dem jungen Manne in Werda erging es den Buben eines Wunderdoktors in Schumburg, die in Abwesenheit ihres Vaters dies geheimnisvolle Buch aus einem Schranke nahmen und darin lasen, worauf eine Menge von teuflischen Vögeln ins Zimmer kam. (Grohmann, Sagen aus Böhmen und Mähren I., S. 315.)

Ein alter Mann in Eichelborn in Thüringen hatte große Kenntnisse in geheimen Künsten. Einst las er abends in einem großen Buche, während ein Knabe bei ihm in der Stube war. Da wurde er hinaus gerufen. Der Knabe las trotz des Verbotes in dem Buche, und da kamen viele Raben, welche von außen an das Fenster pochten. Aus das ängstliche Geschrei des Knaben kam der Alte zurück, gab dem Ungehorsamen eine derbe Ohrfeige und las in dem Buche schnell einige Worte, siehe, sofort verschwanden die Raben wieder. (O. Richter, Deutscher Sagenschatz, 4. Heft, No. 3.)

Dieselbe Sage findet sich auch bei den Lausitzer Wenden. Als ein Bauer, welcher am Schlossberge zu Burg in der Niederlausitz wohnte und der im Besitze eines „Charakters“ war, einmal aus dem Felde arbeitete, suchte daheim sein Sohn das Zauberbuch hervor. Beim Lesen desselben kamen ebenfalls Hasen. Krähen und andere Vögel zu Tür und Fenster herein. Der Vater, von Unruhe und Angst getrieben, lies eilig nach Hause und sahe, was der Sohn angerichtet hatte. Da nahm er das Buch zur Hand und las alle Stellen, welche der Sohn gelesen hatte, rückwärts, da verschwanden die Ungetüme wieder. (Veckenstedt, Wendische Sagen, 1880, S. 273.)

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 59


1)
Eine ähnliche Geschichte erzählt Haupt, Sagenbuch der Lausitz. Bd. I. S. 184 fgg. und eine dritte wird unten aus dem altenburgischen Dorfe Tautenhain berichtet werden.