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Das Bild im Dome zu Magdeburg

  Nach Relßieg Bd. I. S. 246 etc

Im Dome zu Magdeburg befindet sich ein altes Gemälde, auf welchem eine Frau in einem Costüm aus dem Ende des 14. Jahrhunderts dargestellt ist, zu deren Füßen drei kleine Kinder sich befinden. Es stellt dasselbe Frau Mathilde von Heideck dar, die Gemahlin eines reichen Magdeburger Patriciers, der um die Mitte des 14. Jahrhunderts von seinen Eltern außer andern Besitzungen in der Nähe der Stadt ein prächtiges Haus, die sogenannte Heideckerei am Breitenwege zu Magdeburg, dem alten Markte gegenüber, geerbt hatte. Sie selbst stammte von der Burg Rogätz, an der Elbe bei Magdeburg gelegen, ab und es wird von ihr folgende sonderbare Sage erzählt.

Als sie nämlich ihres ersten Töchterleins genesen war, ward sie sehr krank und von Stunde zu Stunde schlechter, so daß sie nach wenigen Tagen ihren Geist aufgegeben zu haben schien. Sie ward also öffentlich ausgestellt und dann nach der Sitte jener Zeit eingesargt und in die Familiengruft der Heideck's im Dome beigesetzt. Nun hatte aber der Todtengräber bei der Leichenparade bemerkt, daß die Leiche mit einer großen Menge Edelsteine und Schmucksachen geziert gewesen war. Er beschloß also, sich in der folgenden Nacht dieser Gegenstände, welche der Todten doch so schon von keinem Nutzen seien, zu bemächtigen. Wie gedacht so geschehen, am andern Abend kam er von einem Kameraden begleitet, um dem Kirchenraub zu begehen. Beide hoben den Sargdeckel ab und beraubten die Leiche ihrer Ohrringe und Halsketten; als sie ihr aber einen kostbaren Ring vom kleinen Finger abziehen wollten, fanden sie denselben so fest sitzen, daß sie sich nicht besannen, vermittelst ihres Taschenmessers den Ring sammt dem Finger von der Hand zu lösen. Allein wie ward ihnen, als die Leiche sich auf einmal im Sarge erhob und um Hilfe rief. Die Heideckerin war nämlich nicht wirklich todt gewesen, sondern hatte nur im Starrkrampf gelegen und war durch die erlittenen heftigen Erschütterungen wieder belebt worden. Die erschrockenen Diebe flohen aus der Gruft, ließen aber in der Eile ihre Laterne stehen und Grabgewölbe und Kirchenthüre offen. Die arme Frau raffte sich nun mit Aufbietung aller Kräfte aus ihrem furchtbaren Lager auf und gelangte mit großer Anstrengung – denn sie war noch sehr schwach – bis auf die Straße, von wo sie denn sich mühsam bis zu ihrer Wohnung zurückfand und ihren Gemahl durch ihre unverhoffte Rückkehr aus dem Grabe ebenso erschreckte als erfreute. Sie soll dann noch vierzig Jahre mit ihm gelebt haben und er hat nach ihrem nunmehro erfolgten wirklichen Tode ihr ein kostbares Grabmal in der Nähe jenes Todtengewölbes setzen lassen, welches das jüngste Gericht darstellt. Nicht weit davon befindet sich auch das erwähnte Bild.1)

Es giebt übrigens noch ein anderes altes Bild in Magdeburg, auf dem ein Pferd dargestellt ist, welches ein Stock hoch aus einem Hause zum Fenster herausguckt. Dasselbe scheint sich auf dieselbe Sage zu beziehen. Denn man erzählt, es habe einst ein Magdeburger Bürger seine Frau durch schnellen Tod verloren. Als sie nun begraben worden war und der Gatte und die Leidtragenden, wie es damals Sitte war, beim Leichenmahl saßen, kam auf einmal ein Diener in das im ersten Stock des Hauses befindliche Speisezimmer gestürzt und rief voll Schrecken: »Gnädiger Herr, unten an der Hausthür steht Euere selige Gattin im Leichengewande.« Jener aber, der wohl kein sehr betrübter Wittwer gewesen sein mochte, rief: »Geh, einfältiger Tropf, und laß die Todten in Ruh! So wenig als hier je mein Pferd durch's Fenster guckt, kehrt meine Frau aus ihrem Grabe zurück!« Er hatte aber kaum diese Worte ausgesprochen, da hörten Alle mit Entsetzen, wie ein Pferd mit schwerem Huftritt die Treppe heraufkam, in das offene Gemach kam und wiehernd nach dem Fenster zuschritt, von wo aus es in die Straße hinabschaute. Und wenige Minuten nachher folgte dem Roß auch die Todtgeglaubte. Sie war ebenfalls nur scheintodt gewesen und aus ihrem Sarge durch Diebe erlöst worden, welche ihr ihre kostbaren Kleider und Kleinodien, die man ihr mit in den Sarg gegeben hatte, hatten entreißen wollen und durch die Gewaltmittel, die sie dazu angewendet, den Starrkrampf gebrochen und die Lebendig-Todte so dem Leben wiedergegeben hatten2)

Quellen:


1)
Bei Relßieg a.a.O.
2)
Diese Sage ist poetisch behandelt von Ziehnert Bd. I. S. 113 etc.