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Der Burggeist auf Rodeck

  Aloys Wilhelm Schreiber

Ungefähr eine Stunde von der Stelle, wo Türennes Denkmal steht, zieht sich im Gebirge ein wildes, stark bevölkertes Tal hin, das von einem kühnen, mutigen Menschenschlag bewohnt wird. In diesem Tale steht auf einer Höhe das Schloß Rodeck, von welchem sich folgende Sage erhalten hat:

Zur Zeit des Bauernkrieges wohnte auf dem Schloß ein Burggeist. Es war ein gutmütiger Knirps, der es nur übelnahm, wenn man über seine Gestalt spottete oder irgend etwas Unrechtes tat. An der Familie auf Rodeck hing er mit großer Liebe. Als der unselige Bauernkrieg sich auch über den Schwarzwald verbreitete, sah der Edelmann auf Rodeck wohl ein, daß er sein Schloß nicht werde verteidigen können, und wußte keinen Rat. Gattin und Kinder jammerten, und das treue Gesinde nahm warmen Anteil an ihrem Kummer. Da kam eines Tages der Zwerg und berichtete dem Ritter, er habe im Gebirge eine unbekannte Reihe unterirdischer Felsenkammern entdeckt, der Eingang sei mühevoll und kaum auszuspähen. Dahin sollte sich der Rodecker mit seiner Familie und seinen Kostbarkeiten flüchten, auch die nötigen Lebensmittel nicht vergessen. Der Vorschlag wurde mit Freuden angenommen. Die meisten Knechte und Mägde hatten bereits das Schloß verlassen und waren den Bauern zugelaufen, auf die Treue der wenigen, die zurückgeblieben, konnte der Rodecker zählen. Die Wanderung ins Gebirge geschah in der Nacht; nur der Zwerg wollte nicht mit und verlangte, man sollte ihm die Hut des Schlosses anvertrauen. Der Edelmann willigte ein, denn er mußte erwarten, daß es ohnedies von den Bauern niedergebrannt werden würde.

Kaum hatten die Auswanderer die Mauern von Rodeck hinter sich, als der Zwerg eiligst die Gräben mit Wasser füllte und die Brücke aufzog. Nach wenigen Tagen erschien ein Haufen bewaffneter Bauern, die das Schloß aufforderten, sich zu ergeben. Als aber keine Antwort erfolgte und doch alles im Verteidigungszustand war, ahnten sie eine Hinterlist und beschlossen, das Wasser aus den Gräben abzuleiten und dann zu stürmen. Es wurde alsbald Hand ans Werk gelegt, und schon wurden Leitern herbeigebracht, als man plötzlich aus den benachbarten Tälern den Lärm von Trommeln und Pfeifen vernahm. Zu gleicher Zeit erschien der Zwerg auf der Warte und schlug ein gellendes Gelächter auf. Die Bauern überfiel eine tödliche Angst; sie wähnten, es seien Truppen des schwäbischen Bundes, die herannahten, und zerstreuten sich nach allen Seiten. Als sich aber später herausstellte, daß die Gegend weit umher völlig frei von den Truppen der Städte und Fürsten war, entstand in den Bauern der Glaube, die Burg Rodeck sei verzaubert, und keiner wagte sich mehr in ihre Nähe. So blieb sie in den Schrecknissen des Bauernkriegs verschont, und die Familie fand bei ihrer Rückkehr alles unversehrt, wie sie es verlassen.

Quelle: Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen, Verschiedene Autoren,