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Eulenspiegel verschreibt alle Schneidermeister aus Ober- und Niedersachsen zu einer Generalversammlung

Eulenspiegel versuchte immer die ehrlichen Schneider zu foppen und hatte sich jetzt eine neue Schelmerei gegen sie ausgedacht. Er sandte ein Umlaufschreiben an alle Schneidermeister in Ober- und Niedersachsen und lud sie zu einer Zusammenkunft nach Rostock ein, mit der Bemerkung, dass er ihnen eine Kunst lehren wolle, die ihnen und ihren Nachkommen auf immer nützlich sein solle. Sie müssten aber alle am ersten April des darauffolgenden Jahres beisammen sein. Als dieses Schreiben den Schneidermeistern bekannt geworden war, reisten Alt- und Jungmeister aus Städten und Dörfern nach Rostock, um den großen Lehrer der Schneidergeheimnisse zu hören.

Als nun der bestimmte Tag erschien, beschied Eulenspiegel sie auf den großen Marktplatz, wo er sich ein großes Gerüst hatte aufschlagen lassen. Ehe er aber hinaufstieg, sprach er zu ihnen, ob sie ihm auch seine Mühe mit etwas vergüten wollten. Und alle reichten ihm williglich Geschenke dar. Nun stieg er auf seine Bühne und fing folgendermaßen zu reden an: »Ehrenfeste, ehrbare Meister des löblichen Schneiderhandwerks! Ihr seid doch die Leute, die kein Mensch entbehren kann, er müsste sonst nackend gehen wollen. Darum könnt ihr stolz darauf sein, Kaiser, Könige, Fürsten, Grafen, Bürger und Bauern messen zu dürfen. Wenn ihr nun zu solchen Personen hingerufen werdet, so merkt euch, dass ihr euch nicht schwer beladet, sondern auf euren Beinen recht leicht seid. Nehmt zum Tragen nicht mehr mit, als eine Scheere, Fingerhut, Nadel, Zwirn und eine Elle. Dies ist genug zu eurem Handwerk. Solltet ihr euch aber dennoch fürchten, dass ihr auf den Beinen zu leicht wäret und der Wind euch verwehen könnte, so nehmt noch euer Bügeleisen zu euch, dann weht euch gewiss der Wind nicht weg. Und endlich, wenn ihr die Nadel gefädelt habt, so vergesst nicht, an das eine Ende des Fadens einen Knoten zu schürzen, damit die ersten Stiche nicht umsonst sind. Ja ihr könnt sonst wohl zwanzig Mal durchstechen, und jeder Stich wird umsonst sein. Dies einzige Mittel wird euch also viel Zeitversäumniss ersparen. Dies bemerkt euch, und gedenkt meiner, wenn ihr eine Nadel fädelt.«

Darauf ging Eulenspiegel von seinem Gerüste schleunig herunter.

Wie dies die Schneiderversammlung hörte, sagte einer zum anderen: »Was der Narr da hergeplaudert, haben wir ja alle schon lange gewusst. Wenn er weiter nichts wusste, so brauchte er uns nicht 20, 30, ja 40 bis 50 Meilen weit hierher zu locken.«

Einige Schneider riefen ihm deswegen zu: »Dies wusste man schon vor 1000 Jahren!«

Eulenspiegel antwortete: »Was vor 1000 Jahren geschehen ist, weiß die jetzige Welt nicht mehr. Wem mein Kunststück nicht gefällt, der erfinde sich selbst ein besseres.«

Da wurden die Schneider zornig auf ihn, nahmen ihre bei sich habenden Reisestöcke und wollten ihn mit Schlägen dafür bezahlen. Er aber entsprang ihnen und war froh, die vielen Schneider angeführt und sich dadurch eine Summe Geldes erworben zu haben. Die sämtlichen Schneidermeister mussten nun wieder hingehen, wo sie hergekommen waren, und diese Reise hatte sie um nichts klüger gemacht, sondern alle ärgerten sich, dass sie von dem Narren sich hatten anführen lassen.

Ihr Zorn gegen Eulenspiegel wurde noch mehr erhöht, weil die Rostocker die fremden Schneidermeister auslachten und sagten: »Seid ihr nun durch Eulenspiegel witzig gemacht? Habt ihr denn Eulenspiegel nicht gekannt, dass ihr Toren euch am ersten April von ihm anführen ließet?«

Hierdurch soll das Sprichwort entstanden sein: Am ersten April schickt man die Narren, wohin man will. Aber die Schneidermeister ließen sich den Spaß zur Warnung dienen und beschlossen, nie einem Narren wieder Gehör zu geben und den ersten Tag als einen Narrentag in das alte Gildenbuch zu Rostock einzuschreiben.

Quelle: Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern von Johann Heinrich Ramberg, mit Text nach der Jahrmarkts-Ausgabe. Verlag C. B. Griesbach. Gera. 1871