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Wittenberg und Doktor Faust

Johannes Faust, ein Bauernsohn aus dem anhaltischen Flecken Salzwedel hatte einen begüterten Bürger in Wittenberg zum Oheim. Dieser war kinderlos und nahm den trefflich veranlagten Knaben zu sich, hielt ihn fleißig zur Schule an und ließ ihn später die Universität Ingolstadt besuchen. Dort lag der junge Faust mit Eifer theologischen Studien ob und erwarb sich die Magisterwürde. Durch Umgang mit schlecht gesinnten jungen Leuten und Verkehr mit herumstreichenden Zigeunern wurde er zu zauberischem Unwesen verführt. Er wandte sich nun der Medizin und Sterndeuterei zu und erlangte hierin sowie in der Kunst der Magie und Geisterbeschwörung allmählich tiefe Kenntnisse und große Geschicklichkeit.

Als er hinlänglich vorbereitet zu sein glaubte, ging er an einem heiteren Tag aus der Stadt Wittenberg an einen eine halbe Meile entfernten Kreuzweg, wo fünf Straßen von einem Punkt ausliefen. Als es Abend geworden war, auch kein Fuhrwerk mehr vorüberkam, ergriff er einen Reif, versah ihn mit vielen seltsamen Zeichen und setzte daneben noch zwei Kreise. In dem nahegelegenen Wald erwartete er mit Sehnsucht die Mitternachtsstunde. Kaum war diese angebrochen, so trat er in den Reif und beschwor unter Verhöhnung des göttlichen Namens zu dreien Malen den Teufel. Alsbald sah er eine große feurige Kugel unter furchtbarem Knall dem Kreis sich nähern, vor ihm zerspringen und in die Luft fahren. Fast wäre er vor Schrecken aus dem Kreis gesprungen. Doch er fasste neuen Mut und versuchte eine härtere Beschwörung.

Sogleich entstand im Wald ein solches Windbrausen, dass alles zugrunde zu gehen schien. Wagen, mit Rossen bespannt, fuhren in rasendem Galopp an den Kreisen vorüber, sodass der Staub hoch aufwirbelte. Nur mit Mühe vermochte Doktor Faust sich auf den Füßen zu halten. Als aber der Staub sich gesenkt hatte, gewahrte er ein Gespenst oder einen Geist sich um den Zauberkreis bewegen. Mutig beschwor er ihn und forderte ihn auf, ihm zu dienen. Jener sagte zu, falls Faust seine Bedingungen erfüllen würde. Vergnügten Sinnes verließ der Doktor den Zirkel, vernichtete dessen Spuren und eilte der Stadt zu.

Um die Mittagszeit sah er dann hinter dem Ofen etwas Schattenähnliches erscheinen, konnte jedoch nicht erkennen, ob es ein Mensch sei. Sogleich begann er die Beschwörung und befahl dem Geist, sich in seiner wahren Gestalt zu zeigen. Da schaute hinter dem Ofen ihm ein Menschenhaupt entgegen, welches sich vor ihm wiederholt verneigte. Aus die Weisung, sein Versteck zu verlassen, gehorchte der Geist und stand nun deutlich vor ihm. Nun aber durchzuckten Feuerflammen das ganze Gemach. Der Geist, der zwar ein menschliches Haupt, aber einen zottigen Leib hatte, blickte mit seinen glühenden Augen den Doktor an, sodass dieser erschreckt ihm zurief, er solle hinter den Ofen zurückweichen, was dann auch geschah.

Faustus Frage, ob er nicht in einer minder abscheulichen Gestalt sich zeigen könnte, verneinte der Geist. Doch fügte er hinzu, er wolle ihm einen Geist in menschlicher Gestalt zum Dienst überweisen, wenn er sich verpflichte, dasjenige zu halten und zu leisten, was er ihm vorlegen werde.

Faust, der dem Vorschlag sich geneigt erklärte, wurde nunmehr angewiesen, mit der Feder niederzuschreiben, dass er wolle:

  1. Gott und allen himmlischen Herrn absagen,
  2. aller Menschen Feind sein, besonders derer, welche ihn wegen seines bösen Lebens tadeln würden,
  3. geistlichen Personen den Gehorsam verweigern,
  4. Kirche, Predigt und Sakramente meiden,
  5. die Ehe hassen.

Sodann wurde ihm eröffnet, dass er ein großer Mann und der herrlichsten Genüsse teilhaftig werden sollte, wenn er durch einen mit seinem eigenen Blut geschriebenen Schuldbrief diese Artikel bestätigen würde. Nach einem schweren inneren Kampf willigte Faust ein und schrieb mit seinem, einer Ader der linken Hand entnommenen Blut den Schuldbrief.

Bald darauf klopfte es an die Tür. Beim Öffnen sah Faust sich gegenüber eine lange, in ein Mönchsgewand gekleidete Person mit grauem Bart, welche sich vor ihm verneigte. Befragt nach ihrem Begehr, antwortete sie, dass sie bisher dem Obersten der Geister untertan gewesen sei, nun aber als vertrauter Geist ihm getreulich dienen wolle. Mephistopheles, so war der Name des Dieners, erhielt nun von seinem neuen Herrn Befehle, die er sofort ausführte. Zunächst brachte er dessen Vermögensumstände in Ordnung. Stuben, Kammern, Keller stattete er mit Hausrat und Vorrat aus. In den prächtig hergerichteten Sälen grüßten den Eintretenden die schönsten Vogelstimmen, während Sumpfvögel im Vorhof des angrenzenden Zaubergartens lustwandelten, der mit Bäumen und Blumen bestanden war, die nur in südlichen Ländern zu gedeihen pflegen. An der Einfahrt lag des Doktors großer Zauberhund, der feuerrote Augen sowie zottiges schwarzes Haar hatte und seltsame Sprünge vollführte. Mit seiner Hilfe führte der Schwarzkünstler seine Zaubereien aus. So unternahm er mit Studenten eine Lustfahrt nach Leipzig, wo er auf einem Fass aus Auerbachs Keller herausritt; ebenso nach Salzburg, wo er aus den Kellerräumen des Bischofs den Kellermeister entführte und auf dem Gipfel einer hohen Tanne niedersetzte.

Ein lustiges Stücklein führte Faust mit drei zu Wittenberg studierenden Freiherrn aus, welche gern der Hochzeit des bayrischen Kurfürsten beigewohnt hätten. Auf den Vorschlag des einen luden sie den Schwarzkünstler zum Bankett ein und trugen ihm ihr Anliegen vor. Der Doktor versprach, ihnen behilflich zu sein, wenn sie während der ganzen Fahrt gar nichts redeten. Auch nach ihrer Ankunft im fürstlichen Palast sollten sie auf jede Anrede kein Wort erwidern. Das versprachen sie und hielten sich zur festgesetzten Stunde bereit. Da entfaltete Faust im Garten seines Hauses seinen weiten Nachtmantel, aus den sich dann die Barone setzen mussten. Sofort erhob sich ein Wind, der sie sacht noch vor Morgengrauen gen München bis zur Schwelle des Palastes trug. Dort empfing sie der Hofmarschall und geleitete sie in den oberen Saal. Sowohl ihm als auch dem begleitenden Hofjunker fiel es auf, dass sie alle Fragen nur durch Verbeugungen erwiderten. Nach der Trauung nahte die Stunde zur Tafel. Als bei der vorher stattfindenden Darreichung des Handwassers der eine der drei Fremden dem Diener seinen Dank aussprach, musste er, während die beiden anderen auf Fausts Mantel davonfuhren, zur Strafe zurückbleiben. Natürlich machte die Geschichte Aufsehen, und der Zurückgebliebene wurde in Haft geführt. Noch ehe aber der nächste Tag anbrach, stand Faust vor seiner Zelle, schläferte die Wächter ein, sprengte Tür und Riegel und führte den sanft Schlafenden in seinem Zaubermantel wieder unversehrt zu seinen Vettern gen Wittenberg, worauf er reich beschenkt von dannen zog.

Studenten waren es auch, die er in Wittenberg um sich versammelte, als die 24-jährige Frist ablief, nach welcher er Eigentum des Teufels werden musste. Mit ihnen ging er zum Dorf Rimlich. Nachdem sie gemeinsam gespeist hatten, führte Faust sie in ein Nebenzimmer. Dort wurde er ernster und ernster und schwieg, lange Zeit vor sich hinstarrend. Dann presste er die Hände zusammen, seufzte und stöhnte. Endlich fing er an und er zählte das ganze schauerliche Geheimnis seines Lebens, wie er Gott verloren, sich mit dessen Feind verbündet habe und nun der Verdammnis anheimgefallen sei. Betrübten Herzens nahmen die Gäste von ihm Abschied, übernachteten aber im gleichen Gasthaus. Um Mitternacht begann ein ungestümer Wind das Haus zu umtosen. Aus dem Zimmer, in welchem Faust sich befand, hörte man ein grausiges Zischen und Pfeifen, wie von Schlangen herrührend, sodann ein Gepolter, ein Ringen, Stoßen und Herumwerfen, dazwischen das Angstgeschrei des unglücklichen Mannes. Dann wurde alles still. Am anderen Morgen fand man den Leichnam verstümmelt auf dem Hofraum. In aller Stille fand die Beerdigung statt, wobei wieder ein heftiger Sturmwind losbrach.

Quelle: Oskar Ebermann, Die schönsten Sagen von der Elbe und den anliegenden Landschaften und Städten, Verlag Hegel & Schade, Leipzig