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Woher stammt der Ausdruck Der dumme Junge von Meißen?

Wenn man früher Fremden die Porzellanfabrik zu Meißen zeigte, so führte man sie auch in ein übrigens ganz leeres Zimmer, in dessen Winkel eine Porzellanfigur stand, welche einen zwölf- bis vierzehnjährigen Knaben in natürlicher Größe darstellte. Trat man aber auf eine gewisse Diele, unter der eine Feder war, die mit jener Figur in Verbindung stand, so steckte jener Knabe die Zunge heraus, wie es die chinesischen Porzellanpagoden machen, wenn man ihnen den in einem Gewicht gehenden Kopf in Bewegung setzt. Diesen Porzellanjungen, von dem ein zweites Exemplar auf dem Schloss Hubertusburg stand, nannte man den dummen Jungen von Meißen. Gleichwohl ist dieser Spottname wahrscheinlich weit älter und bezeichnet den bekannten Judenkopf im Wappen der Meißner Markgrafen. Hier kommt er ungefähr erst seit 1349 vor, wo die Markgrafen die Belehnung mit dem Judenschutz vom Kaiser erhielten. Das Volk, welches die Bedeutung des Judengesichts mit der Schellenkappe nicht begriff, legte der Figur jenen Beinamen bei. So entstand aus dem dummen Juden von Meißen ein dummer Junge von Meißen. Sonderbarerweise haben aber die Juden noch ein freilich entgegengesetztes Sprichwort von den Weisen zu Meißen, welches sich auf den Gerichtshof, den sie früher hier besessen haben sollen, bezieht.

Quelle: Oskar Ebermann, Die schönsten Sagen von der Elbe und den anliegenden Landschaften und Städten, Verlag Hegel & Schade, Leipzig;