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Der Dürst

Um den moorigen See auf dem Pilatus und im ganzen Berggehege tobt der Dürst, das ist der Wilde Nachtjäger, wie in Thüringen, im Voigtland und am Harz, der hat zur Gesellschaft auch ein gespenstig Weib, wie der Hackelberg die Tutosel, der wilde Jäger Thüringens die Frau Holle, und der Voigtlands die Frau Berchta, die heißen sie drunten im Entlibuch, hart an des Bergstocks Westwand: das Posterli, und in Luzern kennen sie die Sträggele, die, wie die Hollefrau und die wilde Berchta den faulen Mägden die Rocken wirrt. Mit gar wildem Saus und Braus führt der Dürst über die Almen daher, reißt und rüttelt an den Sennhütten, bricht mächtige Baumstämme, wirft Felsen in die Gründe, und führt wohl auch Kühe mit sich hoch in die Luft, die nimmer wieder herunter kommen oder halbtodt und ausgemolken etwa erst am dritten Tag. Wenn ein Hirte das gewahr wurde, konnt' er noch Einhalt thun durch den Alpsegen, wenn er den zeitig durch einen Milchtrichter rief, daß der Dürst ihn noch hören konnte, so sank die entführte Kuh ganz sanft wieder auf die Matte nieder.

Auf der Bründler Alp über Eigenthal kann man wohl noch heute den Alpsegen im Abendruf der Sennhirten vernehmen, der lautet gar wunderbar durch die Feierstille der Natur, wie Orgeltöne und Glockenklang, und wiederhallt aus allen klüften die Flichbanden nieder, wie Geistermusik. Das ist der Ruf und der Segen: Ho – ho – ho – öh – ho! – ho – hi – ho – ho! Ho lebe! ho lobe! – Nehmet alle Tritt in Gottes Namen, in unsrer lieben Frauen Namen! Lobi Jesus, Jesus, Jesus Christ! Ave Maria! Ave Maria! Ave Maria! Ach lieber Herr Jesus Christ, behüt gott aller Leib, Seel, Ehr' und Gut, was in die Alp gehören thut. Das walt' Gott und unsre herzliebe Frau, das walt' Gott und der heilige Sankt Wendel! Das walt' Gott und der heilige Sankt Antoni! Das walt' Gott und der heilige Sankt Loy! – (Aloysius.)

Quellen: