Die Mittagsfrau im Spreewald

Wehe dem Bauern, der in der heißen Mittagszeit weiter auf dem Feld arbeitet! Glaubt man einer weiteren Sage im Spreewald, so erscheint ihm die Mittagsfrau. Sie schwingt ihre Sense und fordert den Unglücklichen auf, eine Stunde lang Geschichten über Flachs zu erzählen. Ist der Bauer tüchtig und kennt sich aus, so gelingt ihm dies und er wird verschont. Wer jedoch weniger bewandert ist, der stirbt durch den „Hitzeschlag“ der Mittagsfrau.

Wieder einmal war es ein herrlicher, warmer Tag, die Feldarbeit ging leicht von der Hand und alles fügte sich, eigentlich, zum Guten. Die Bauern auf den Feldern gingen ihrem Tagewerk nach und alles war gut. Um die Mittagszeit aber, wenn die Glocke des nahen Dorfes die zwölfte Stunde einläutete war es angebracht, zu hause zu sein und die Stunde zu heiligen, das Land zur Ruhe kommen zu lassen und der Natur ihren Frieden zu gönnen.

Es geschah aber, dass eine eifrige Bäuerin die Glocke überhörte und weiter ihrem Tagewerk nachging. Um diese Zeit wandelte eine Gestalt über die Felder und Wiesen, sah nach dem Rechten und strafte alle die, die das Gebot der Mittagstunde missachteten. Im ganzen Wendenland war sie als die weiße oder auch Mittagsfrau bekannt. Im Gürtel ihres weißen, wallenden Gewandes trug sie, nach Schnitterinnenmanier, eine Sichel. Mit dieser schnitt sie aber kein Getreide oder Gras sondern bestrafte die Säumigen und Nichtachtenden dieser heiligen Stunde.

Wie es kommen musste, traf sie auf die Bäuerin. Diese erschrak fürchterlich, wusste sie doch, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. Um der Strafe der Mittagsfrau zu entgehen gab es nur ein Mittel, der Wächterin der heiligen Stunde musste man, bis zum Ein Uhr Läuten, alles über den Flachs, der ja im Spreewald angebaut wurde, erzählen. In ihrer Angst begann sie zu erzählen und Gott sei Dank war sie mit einer flinken Zunge ausgestattet. Sie erzählte und erzählte, bis zur Erschöpfung. Sie hörte, wie schon das Mittagsgeläut auch das „Erlösungsläuten“, um 1 Uhr nicht. Als sie erschöpft aufhörte war die Mittagsfrau verschwunden. Ihre Geschwätzigkeit hatte ihr das Leben gerettet. Ihre Nachbarn fanden sie auf dem Feld, erfuhren was geschehen war und brachten die Frau in ihr Häuschen im Dorf.

Nie wieder wurde diese Bäuerin, in der Mittagsstunde, auf dem Feld gesehen. Sie hatte ihre Lehre aus dieser Begegnung gezogen und war ab diesem Tag immer aufmerksam und zum Mittag zu hause.