Die drei Juffern von Morken

  M. Cremer: Was sich die Leute an der Erft erzählten. In: Erftbote 1951

Abend war es. Der Nebel stieg aus den Wiesen, wallte und wogte wie weiße Schleier und hob und senkte sich wieder in seltsamen Gebilden. Das Mondlicht schimmerte silbern auf den Wassern der Erft und breitete sich mild über die stille Landschaft. Da schritt ein Bauer, von Frimmersdorf kommend, längs der Erft eilends auf Morken zu. Ab und zu rauschten die Wasser des Flusses murmelnd auf, und im Gras, das seine Füße streiften, regte sich traumschwer erwachtes Getier. Dem Mann schien die vertraute Landschaft so weit und einsam wie nie zuvor. Nur die Nebel wallten und wogten, hoben und senkten sich in seltsamen Gebilden.

Plötzlich sah der Wanderer in einiger Entfernung drei verhüllte Frauengestalten. Was taten die Frauen auf dem einsamen nächtlichen Weg, so weit noch vom Dorf? Da bemerkte er, dass die eine die Arme hob und wie segnend – oder bittend? – breitete. Weiterschreitend dünkte es dem Mann, die Gestalten seien Nebelgebilde. Aber sie blieben am Weg, wichen nur etwas zur Seite. Als er näher kam, hoben nun alle drei mit heftigen Bewegungen die Arme und winkten ihm schweigend zu. Es schien dem Mann immer mehr, als liege ein banges Flehen in ihren Gebärden, und dann sah er, dass die Gestalten manchmal einander stützen mussten wie Menschen, die von einem weiten Weg ermüdet sind.

Da dauerte es den Mann, dass er weder Brot noch Milch oder Obst oder andere Labung bei sich hatte, und er ging in verlegenem Schweigen vorüber. Künftig werde er - so nahm er sich in einer plötzlichen Aufwallung vor - auf dem Tisch vor seinem Haus abends einen Krug mit Milch und ein Stück Brot bereitstellen, dass die, die noch wandern mussten, wenn andere schon ruhten, auch des Nachts bei ihm eine Labung fänden; und wie unsinnig ihm dieser Vorsatz später auch manchmal erscheinen mochte, er hielt ihn getreu bis zum Tode.

Nach der Begegnung mit den drei seltsamen Frauen ging der Bauer nachdenklich weiter. Es war ihm ganz eigen zumute, so als müsse er jetzt inmitten der nächtlichen Landschaft sein augenblickliches Leben und Schaffen überdenken. Nichts stach als Besonderes aus dem Ablauf seiner Jahre hervor. Ein Tag reihte sich, mit Arbeit angefüllt, an den andern, ab und zu von einem frohen Fest unterbrochen, auf das man sich dann lange freute. Er hatte ein gutes und fleißiges Weib und einen Besitz, der seinen Mann ernährte. Emsig schaffen musste er zwar, aber er arbeitete gern. Nur fehlte ihm und seiner Frau das, was sie seit zehn Jahren vergebens erhofften: der Kindersegen.

Am anderen Morgen erzählte der Bauer seiner Frau von der seltsamen nächtlichen Begegnung und dem unterwegs gefassten Vorsatz. Verwundert lauschte die Frau, doch war sie bereit, diesen Vorsatz mitzuerfüllen. Hinfort stand allabendlich vor des Bauern Haus ein Krug Milch und ein Stück Brot für hungrige nächtliche Wanderer bereit. Und seltsam war’s, jeden Morgen war der Krug leer und das Brot verschwunden und ein Apfel lag auf dem Tisch, obwohl lange Zeit keiner vom Gesinde von der bereit gestellten Wegzehrung wusste, also auch keiner sich einen üblen Scherz damit erlauben konnte.

Noch seltsamer aber schien es dem Mann, dass sein Garten und seine Felder seit jenem Tag reichere Frucht brachten als je zuvor, und auch seine Frau war anders geworden, war von jenem Tage an wie umgewandelt und so heiter und fröhlich wie früher als Mädchen. Als dann das für die beiden so Beglückende sich wirklich erfüllte und nach Monaten ein Kind in der Wiege lag, war auch der Bauer von tiefer Freude erfüllt. Und wenn er später mit seiner Frau von dieser Zeit und dem sich seither mehrenden Segen in Feld und Haus sprach, so erinnerte er sie immer an die Begegnung mit den drei stillen Gestalten und daran, wie er den Vorsatz gefasst, allabendlich für nächtliche Wanderer eine Wegzehrung bereit zu stellen.

Quelle: www.sophie-lange.de