Der Wintrüeb

Selten jemand denkt, dass jenseits des Steinbachbrüggli in Flühli im Jahre 1384 ein währschafter Entlebucher, eben dieser Wintrüeb, wie man ihn, nannte, sein Leben lassen musste. Wintrüeb soll ursprünglich Ring-Rüeg genannt worden sein, weil er offenbar äusserst stark gewesen sein soll.

Die Entlebucher gehörten in diesen Jahren noch zu Österreich und waren dem Vogt von Thorberg zu Wolhusen unterstellt. Die Urschweizer (Urner, Schwyzer und Unterwaldner) konnten sich 1315 vom Joch der Vögte befreien. Wohl etwas übermütig geworden, foppten und belästigten sie die Entlebucher, wo es sich ergab. Schon öfters war den Älplern im Gebiet Sörenberg kund getan worden, dass dieses Alpgebiet eigentlich den freien Obwaldnern zustehe, besonders, was unterhalb der Schwarzenegg liege. Dieses gespannte Verhältnis führte dazu, dass sich die beiden Älpler von der Schwarzenegg und der Schlachtalp besprachen, denn es war ihnen zugetragen worden, dass sich die Obwaldner das Gebiet mit Gewalt aneignen wollten.

«Die sollen nur kommen!» meinte der Senn von der Blattalp, eben dieser Wintrüeb. Die Blattalp gehörte damals zur Schwarzenegg. Dem Senn von der Schlachtalp wurde ordentlich leichter, da er jetzt auf Hilfe rechnen durfte, denn er selbst war körperlich eher unterlegen. Und tatsächlich. Schon am nächsten Morgen drangen die Obwaldner früh in die Schlachtalphütte ein, überwältigten den Senn und warfen ihn ins Käsekessi. Die anderen Anwesenden band man fest. Das alles dauerte nur einen Augenblick, sodass niemand zum Alphorn greifen konnte. Die Obwaldner trieben das Vieh zusammen und führten es ab. Einer der «Länder» stieg auf die nahe Fluh und rief mit höhnischer Stimme ins Tal hinaus: «De Senn lid im Chessi und eui scheene Chüe läifid gegen üsne zuo!»

Wintrüeb hörte den Spottruf, machte sich mit seinen Mannen auf, gegen die Schlachtalp. Dort befreite er zuerst die verängstigten Mannen und alarmierte durch einen Boten die nächst gelegenen Sörenberger. In Mehrli (Mörhalp) traf man die Räuber. Sie feierten den Raubzug, hatten die Kühe eingestellt und frönten ganz ordentlich dem Alkohol. Unbemerkt schlich Wintrüeb in den Stall, band das Vieh los und zog die Glocken ab. Während seine Getreuen mit den befreiten Kühen über Glaubenbielen zogen, schlug Wintrüeb von Zeit zu Zeit nüt den Glocken an, um so die Obwaldner zu täuschen. Als das Vieh in Sicherheit war, also ennet Glaubenbielen, öffnete Wintrüeb den Stall, warf den Obwaldnem die Glokken vor die Füsse und verhöhnte die illustre Gesellschaft. Die Geprellten verfolgten Wintrüeb, verloren aber recht bald seine Spur und schworen Rache.

Wochen vergingen. Der Senn von der Schlachtalp war begraben. Die Erregung der Entlebucher, besonders der Tod des Sennen, war den Entlebuchern ins Fleisch gedrungen. Sollten die Obwaldner noch einmal einfallen, war man gerüstet. Aber man hatte nicht mit der grossen Zahl Krieger gerechnet, die eines Tages auf der Witenlauenenhütte einbrach. Wintrüeb bodigte überlegen den Obwaldner Fähnrich. Nach kurzem Kampf blieben viele Obwaldner auf dem Schlachtfeld liegen. Für diesmal blieb das Alpgebiet den Entlebuchern erhalten. Aber die Obwaldner hatten Wintrüeb Rache geschworen. Als er einst von Schüpfheim her heimkehrte, passten ihm mehrere Männer beim Emmentobel auf, nahe der Südelhöhe. Es kam zu einem heftigen Gefecht. Nach einer Viertelstunde kollerte der letzte Obwaldner der Emme zu, die meisten trugen Wunden davon.

Wenn Wintrüeb schon nicht auf faire Weise bezwungen werden konnte, wollte man es mit List versuchen. Den Obwaldnern war zu Ohren gekommen, dass Wintrüeb nach Schüpfheim unterwegs war. Diesmal musste es gelingen, den Mann wegzuschaffen. Und tatsächlich, der Trick gelang. Ein gedingter Obwaldner stellte sich als Schwerverletzter zur Verfügung. Am Steinibachstutz mimte er am Wasser einen Verwundeten, der um Hilfe suchte. Wintrüeb glaubte, helfen zu können und holte am Bach Wasser, um dem Unglücklichen Linderung zu bringen. Als er sich über ihn beugte, zog dieser unversehens einen Dolch aus der Tasche und stach ins Herz Wintrüebs. Der Helfer brach zusammen und starb auf der Stelle. Wie eine Furie eilte der Mörder weg und ward nicht mehr gesehen.

An der Stelle dieser Untat errichteten die Bürger einen Gedenkstein, der über Jahrhunderte die Stelle der Bluttat markierte. Als das Entlebuch ins Bürgerrecht Luzern aufgenommen wurde, gab die Spannung nach. Jedenfalls kämpften Obwaldner und Entlebucher Schulter an Schulter bei der Schlacht in Sempach. Jahrhunderte später, Als Schibi das Land zur Befreiung der Bauern im Entlebuch aufrief, rüsteten sich die Flühler ebenfalls zum Kampf. Beim Gedenkstein Wintrüebs verrichtete man wie üblich das Schlachtgebet. Alle erhoben die Hand zum Schwur und versprachen, hier bei einem Sieg über die Städter eine Kapelle zu bauen. Aber keiner kam zurück. Im Gütschwald erstickten sie im eigenen Blut. Der Stein aber verwitterte.

Die alte Holztafel welche noch heute an der Schlachthütte hängt, legt Zeugnis für das Geschehene ab. Auf Ihr ist folgende Inschrift zu lesen: Da die alte Holzhütte wurde geschlissen ab, fand man eine Schrift, die Zeugnis gab, Dass die Entlebucher und die von Obwalden, Um diese Landschaft einen Krieg gehalten. Weil die die von Obwalden dazumal, In Anspruch genommen das ganze Tal (Mariental). Da sind unsere lieben Altväter gekommen Und haben ihnen das Banner und Land genommen. Wir danken unsern lieben Alten, Dass sie haben den Sieg erhalten. Die Zeit, wo das geschehen war, zählt man dreizehnhundertachtzig Jahr. Endlich wurde mit der Nachbarschaft Frieden gemacht, Darum sagt man hier in der Schlacht.

Quelle: www.alp-schlacht.ch