Der Hirte des Grafen

Vor langer, langer Zeit hütete zu Nideggen ein junger Schäfer die Schafe des Grafen Wilhelm. Er tat dies viele Jahre in Demut und Selbstentsagung.

Eines Tages jedoch erschien ihm der Teufel und gab ihm ein, das Schafehüten sei für ihn doch eine zu geringe Aufgabe, er werde deshalb von allen verachtet. Der Schäfer hing diesen Gedanken nach und fasste den Vorsatz, in aller Stille das Weite zu suchen und die Schafe ihrem Schicksal zu überlassen.

Als er später beim Abendbrot saß (Lammbraten mit Brot und Soße), über sein Vorhaben nachdachte und zu Bett gehen wollte, sah er plötzlich eine geisterhafte Gestalt vor sich. Sie forderte ihn durch einen Wink auf, ihr zu folgen. Ohne Widerrede stand er auf und folgte der Erscheinung durch sich von selbst öffnende Türen bis hinaus zum Friedhof. Er wusste nicht, wie ihm geschah, wagte aber aus Furcht nicht, seinen Führer zu fragen, wer er sei und was er mit ihm vorhabe.

Auf dem Friedhof öffneten sich auf ein Zeichen der Erscheinung alle Gräber; eisige Luft umwehte ihn und vor Schrecken waren seine Glieder wie gelähmt. Er sah vor sich die Leichen in allen Stadien der Verwesung und der grässliche Totengestank drohte ihn zu ersticken. Da hörte er die Stimme seines Führers, die gar schaurig klang und sich also vernehmen ließ: “Siehst du diese Toten dort? Bald wirst du ihnen gleich sein. Was gedenkst du also zu tun?“ Und der arme Schäfer sprach: “Habe Erbarmen mit mir, oh Herr, und schone meiner! Ich will fürderhin in Demut ein treuer Diener sein.“

Nach diesen Worten fand er sich unversehens zu Hause wieder, tat Buße und hütete bis an sein Lebensende getreulich ohne Auflehnung die Schafe.

Quelle: Frei nach J. Schiffels (Abendgrauen); www.heimat-geschichtsverein-nideggen.de