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Das Mährchen vom Popanz

Es war einmal ein König, der hatte eine sehr schöne Tochter, die schönste Prinzessin, die man jemals mit Augen gesehen. Schon als Kind verliebten sich alle in sie. Ihr Vater und Mutter hatten sie mit einem benachbarten Königssohn versprochen, der sehr häßlich und bucklicht, dessen Mutter aber eine große Zauberin war.

In der Nachbarschaft der Prinzessin wohnte ein Pastetenbäcker, der so schöne Pasteten backte, daß der König und der ganze Hof von keinem andern Pasteten nahm, als von ihm. Daher kam es, daß er die Prinzessin einst sah und sie ihn. Beide verliebten sich in einander und so heftig, daß sie eins ohne das andere nicht mehr leben zu können glaubten. Da nun die Prinzessin immer größer ward und endlich die Zeit herannahte, daß sie mit dem bucklichten Prinzen Hochzeit machen sollte, wußten sie sich nicht mehr zu helfen vor Schmerz. In ihrer Angst des Herzens wendete sie sich an ihre Amme und entdeckte ihr ihre Liebe zu dem Pastetenbäcker. Die Amme war sehr erschrocken hierüber und ermahnte sie, diese Liebe fahren zu lassen, da sie doch den Pastetenbäcker nie heirathen könnte und dürfte, und dagegen ihre Gedanken auf den Prinzen, ihren künftigen Gemahl, zu rich-ten. Die Prinzessin aber weinte und schluchzte, und versicherte ihre Amme, daß sie nicht eher wieder essen und trinken würde, bis sie ihr in ihrer Liebe Rath gegeben hätte. Die Amme, die wohl wußte, daß die Prinzessin hielt, was sie sagte, war sehr bestürzt und bat sie nur ruhig zu Bett zu gehen und versprach ihr auf Morgen nachzusinnen, was sie für sie thun könnte. Diese Amme verstand auch etwas von der Feerei und der geheimen Wissenschaft, und rieth am folgenden Tage der Prinzessin, ihren Vater zu bitten, daß er die Hochzeit noch ein Jahr aufschöbe; unterdessen würde sich Rath finden, und könnte sie so lange nach wie vor ihren Pastetenbäcker sehen. Dies geschahe und da die Amme um das Geheimniß wußte, so konnte er täglich die Pasteten in ihr Zimmer bringen und beide sich ungestört sprechen, so lange sie wollten. Auch vergaß derselbe niemals etliche Pasteten für die Amme mitzubringen, die mit Gold gefüllt waren. So gewann ihn diese sehr lieb und versprach ihm, alles zu thun, was möglich wäre, ihnen zu helfen. Da die beiden Verliebten aber täglich vertrauter wurden und oft halbe Tage lang zusammen saßen, ohne Vorsicht zu gebrauchen, so geschah es, daß, als sie einst wieder so recht traulich beisammen saßen, es dem Prinzen, ihrem Bräutigam einfiel, den König zu bitten, mit ihm zu seiner Braut zu gehen. Aber welch Erstaunen ergriff sie, als sie beim Eintritt die schöne Prinzessin in den Armen des Pastetenbäckers sahen. Der Vater wollte fast vor Schrecken in Ohnmacht fallen, der Prinz aber vor Wuth zergehen. Der Pastetenbäcker benutzte die Verwirrung und lief davon. Der Prinz, im Uebermaß seiner Wuth, verwünschte sie alle, da er von seiner Mutter die Feerei gelernt hatte, daß sie in derselben Stellung unbeweglich blieben, bis er sie wieder aufweckte. Dies geschah auch sogleich. Ueber die Amme hatte er aber keine Macht, da sie selber eine Fee war.

Sie war sehr betroffen über den Vorfall; da sie nicht mächtig genug war, den Zauber zu vernichten, so bedachte sie sich kurz, ging zum Pastetenbäcker und sagte ihm alles. Dieser war sehr betrübt darüber; die Amme tröstete ihn aber und sagte ihn, wenn er wirklich die Prinzessin so sehr liebte, wie er zeige, so könnte er ihr noch helfen und den Zauber auflösen. Er betheuerte seine Liebe, und war sogleich bereit, alles zu thun und auch sein Leben dafür hinzugeben. »Nun gut, sagte die Amme, so sollst du dich anschicken, eine weite Reise zu machen.« In einem Lande, viele tausend Meilen von hier, wohnt ein Popanz, der Oberste aller Popanze, dem nichts verborgen ist, und der das Größte und Kleinste weiß, was durch die Zauberei geschieht und geschehen kann, zu dem mußt du hin und sieben Federn aus seinem Schwanz zu kriegen suchen. Als dies der Pastetenbäcker hörte, war er sehr erschrocken und antwortete der Amme, daß solches unmöglich wäre, da er wüßte, daß alle Menschen, die zu dem Popanz kämen, von ihm aufgefressen würden.

Die Amme eröffnete ihm aber, der Popanz hätte eine schöne Frau, die keine Menschen fräße; diese müßte er zu sprechen suchen und sie bitten, ihm zu helfen. Sie wüßte durch ihre Kunst, daß der Popanz alle Nachmittage um vier Uhr ausginge und nicht zu Hause käme vor Abend; unterdessen könnte er hingehen, und die Frau bitten, ihm die sieben Federn zu verschaffen und sieben Fragen zu beantworten, die sie ihm jetzo sagen wollte: die erste beträfe die Entzauberung des Schlosses und seiner Bewohner; die zweite: wie eine andere Prinzessin, die schon seit vielen tausend Jahren im Schlaf läge, aufgeweckt werden könnte; der dritte; wie der Weinstock in dem Garten eines Königssohns, der sonst so schöne Trauben getragen, nun aber verdorrt und dieser darüber in Krankheit gefallen, wieder zum Grünen zu bringen; viertens: woher es käme, daß der Prinz so häßlich und bucklicht wäre, da doch seine Mutter eine Fee und ihn so schön, als sie gewollt, hätte schaffen können; fünftens: wo der Mann wohnt, der Tag und Nacht auf dem Rücken trägt; sechstens: wo das Schiff zu kriegen, daß so gut zu Lande, als zu Wasser geht; siebentens: wie die Frau des Popanz zu entführen wäre; denn dazu müßte er sich zur schuldigen Dankbarkeit entschließen: an ihrer Einwilligung wäre nicht zu zweifeln; denn das würde die Bedingung sein, worunter sie ihm die sieben Federn aus dem Schwanz des Popanzes würde verschaffen wollen, indem sie sehr unglücklich mit demselben lebte.

Die Amme gab ihm hierauf einen versiegelten Zettel und sagte ihm, er sollte ihn nicht eher aufbrechen, als in der Nacht um 12 Uhr vor dem Thore der Stadt, und alsdann sollte er die Worte, die darauf geschrieben stünden, dreimal laut ausrufen: sogleich würde er sich in einem dicken Walde befinden, in welchem ein großes Schloß stünde. Er sollte sich aber in dem Walde verborgen halten, bis die Glocke 4 geschlagen hätte. Alsdann sollte er in das Schloß gehen und mit der Frau des Popanzes sprechen. Dies alles versprach er getreulich zu erfüllen, oder zu sterben. Als nun Mitternacht kam und er vor dem Thore die 3 Wörter ausgesprochen hatte, befand er sich auf einmal in dem Walde, nahe bei dem Schloß des Popanzes. Er verbarg sich, so gut er konnte, in dem Dickicht, und es währte nicht lange, so sahe er den Popanz ausgehen, welcher fürchterlich umher schnupperte, als röche er Menschenfleisch. Als er ihm aus den Augen war, ging er in das Schloß zu der Frau und bat sie um ein Nachtlager.

Sie war sehr verwundert, als sie ein menschliches Wesen zu ihr hereintreten sah: »Mein Gott, rief sie aus, wie kommst du in diese Gegend? Es ist dein Glück, daß du nicht früher gekommen bist, und meinen Mann getroffen hast, er hätte dich gewiß gefressen. Er ist aber auf die Jagd gegangen, nach seiner Gewohnheit. Ich will dir zwar etwas zu essen geben; aber mache, daß du wieder fortkommst, oder sonst frißt dich mein Mann, wenn er zurückkehrt und dich hier trift: denn er spürt sogleich, wenn ein Mensch im Hause ist.« Der Pastetenbäcker fing aber an, die Frau sehr zu bitten und ihr die ganze Sache vorzutragen: er wollte weder essen noch trinken, und bat sie nur inständig um die 7 Federn und um die 7 Fragen. Die Frau war sehr verwundert darüber, und antwortete: solches wäre unmöglich: ihr Mann würde sich weder lassen die Federn ausziehen, noch die 7 Fragen beantworten, und wenn er im Hause bliebe, so wäre sein Tod gewiß; er möchte sich verstecken, wo er wollte, ihr Mann fände ihn doch. Er bat aber so dringend und verhieß ihr, alles für sie zu thun, was sie nur verlangte, wenn sie ihn dagegen zu den sieben Sachen verhölfe. Endlich sagte sie es ihm zu, mit dem Beding aber, daß er sie mit sich hinwegführte. Darauf überlegten sie mit einander, wie es anzustellen wäre. Indessen sie noch darüber redeten, hörten sie den Popanz kommen. Die Frau wußte in der Geschwindigkeit keinen andern Rath, als ihren Freund unter das Bett zu verstecken, und daß er da bliebe, bis am folgenden Tage der Popanz wieder auf die Jagd ginge.

Kaum war der Freund versteckt, so trat der Popanz schon in die Stube herein, und das erste, was er aussprach, war: »Frau, ich rieche Menschenfleisch.« Und sogleich fing er an zu suchen, daß der armen Frau ganz angst und bange ward. Er befahl ihr, ihm zu sagen, wo der Mensch wäre, damit er ihn sogleich fressen könnte; denn er wäre noch sehr hungrig und müde von der Jagd, da er nicht viel gefunden. Die Frau versicherte, es wäre niemand da; einer wäre zwar da gewesen, aber sogleich wieder davon gelaufen, als er vermerkt, wo er hingekommen; dieser würde wahrscheinlich noch im Walde versteckt sein, wo er ihn morgen noch aufspüren könnte. Darauf beruhigte sich der Popanz und legte sich mit seiner Frau zu Bette.

Als sie nun merkte, daß er eingeschlafen war, da er laut schnarchte, so faßte sie eine Feder in seinem Schwanz und riß sie mit aller Gewalt heraus. Sogleich wachte der Popanz auf und schrie vor Schmerz: »Weib, bist du toll? Was ist das, daß du mich so am Schwanze rupfst?« »Ach, lieber Mann, antwortete die Frau, verzeihe mir. Ich träumte eben einen fürchterlichen Traum, wie in einem fernen Lande ein Schloß mit allen seinen Bewohnern erstarrt und versteinert worden durch die Macht eines bösen Zauberers, und mir war, als wenn ich auch darin war und mit versteinert wurde. Daher packte ich dich so fest. Könnte so etwas wohl wirklich geschehen?« – »Allerdings, antwortete er; neulich hat sich eben dieser Fall ereignet in einem fernen Königreiche.« – »Mein Gott – sagte die Frau – ist denn der Zauber nicht wieder aufzulösen?« »O ja, erwiederte er, aber das Mittel dazu ist keinem Menschen bekannt.« – »Nun was ist es dann für eins, lieber Mann?« – »Derjenige, der die Prinzessin liebt und durch den das Unglück geschehen ist, müßte hier in unsern Wald kommen und zu dem Wasserfall gehen, der darinnen ist, und warten, bis ein ganz kleiner unansehnlicher Zwerg erscheint, der ein Felsenstück auf den Schultern trägt und in das Wasser schmeißt. Doch, Weib, laß mich schlafen; was nützst dir diese Erzählung? ich bin müde.«

Sie bat aber so schön, daß er fortfuhr: »Dies alles würde ihm doch noch nichts helfen; denn der Zwerg würde nicht mit ihm gehen wollen, es sei denn, daß er eine von meinen Schwanzfedern hätte, und ihm damit ins Gesicht schlüge: dann würde der Zwerg plötzlich zu einem großen Riesen werden und freundlich mit ihm gehen, wohin er wollte. Derselbe müßte dann das verwünschte Schloß emporheben und umdrehen, und der Geliebte der Prinzessin sie mit der Feder berühren: worauf alles wieder wie vorher leben und der Zauber gelöst sein würde. Aber das wird nimmer geschehen; denn wer wollte mir wohl eine Feder ausziehen? Und nun laß mich schlafen.« Die Frau war still, wie sie ihn aber wieder schlafen hörte, riß sie ihm abermals eine Feder aus.

Der Popanz fuhr noch heftiger auf, als das erstemal. »Ach Mann, ich bitte dich um Verzeihung, ich habe so eben wieder einen ängstlichen Traum gehabt; mir träumte, wie eine schöne Prinzessin eines fernen Königreichs schon seit vielen tausend Jahren in einem Zauberschlafe versenkt läge, und in dem ganzen Pallast keine lebendige Seele mehr wäre, da alles schon ausgestorben.« »Du hast Recht, Frau, erwiederte der Popanz, es giebt ein solches Schloß, wo eine versteinerte Prinzessin schläft, und alles ausgestorben ist, bis auf ein kleines Hündlein, das immer vor dem Fenster liegt und ihn bewacht, indem, so lange er dies thut, nichts Lebendiges hinein kann; denn sobald sich was nähert, verwandelt es sich in ein fürchterliches Ungeheuer, das alles zerreißt. Es giebt aber eine Stunde des Tages, wo es das Fenster verläßt und zu der Prinzessin geht und sich bei ihr schlafen legt. Diese Stunde ist von 1 bis 2 Uhr, und wenn sich alsdann jemand hinein schleichen könnte und sich dem Hündlein näherte, ohne daß es erwachte, und ihm vor den Kopf schösse, aber gerade in die Mitte des weißen Sterns daselbst und so, daß sein Blut die Prinzessin benetzte, so würde sie aus dem Zauberschlafe erwachen; träfe er aber nicht also, so wäre sein Tod gewiß. Nun rath ich dir Frau, wecke mich nicht zum dritenmale mit deinen beschwerlichen Träumen.« Damit drehte er sich um und fing bald wieder an zu schnarchen. Sobald aber die Frau dies hörte, zog sie ihm zum drittenmal eine Feder aus. Jetzt ward der Popanz ganz wüthend und wollte sie zum Bette hinauswerfen. Er schrie: »Weib, du mußt besessen sein, mich schon wieder so zu rupfen, ich glaube, daß ich blute.« Sie versicherte ihn aber, sie habe sich bloß an ihm fest gehalten aus Furcht vor einem Traum, der sie befallen. »Nun was hast du denn schon wieder geträumt?« fragte er. »Ich träumte, daß ein Königssohn in seinem Garten einen schönen Weinstock hätte, der sonst so schöne Trauben getragen, plötzlich aber unfruchtbar geworden und verdorret, und so wie er verdorret, so vergeht auch der Prinz: sage mir lieber Mann, ist das wohl wahr?« »Allerdings, verwünschte Träumerin.« – »Nu sage mir das, lieber Mann, was man wohl thun müßte, um den Weinstock wieder grünen und den Prinzen gesund zu machen?« – »Man muß in das Hühnerhaus, welches dort auf dem Hof ist, und wird da einen schönen bunten Hahn finden, der nicht zu den Hühnern gehört, den muß man nehmen; doch was sage ich vor dummes Zeug? man muß auch dazu wieder eine von meinen Federn haben.« – »I nu, lieber Mann, erzähle nur aus.« »Man nimmt den Hahn und trägt ihn zwischen 12 und 1 Uhr zu dem Weinstock: hier steckt man ihm meine Feder in seinen Schnabel und sogleich wird er anfangen zu graben, und so lange fortfahren, bis 3 Kröten herauskriechen. Diese Kröten soll man nehmen, und sogleich verbrennen, und die Asche davon auf die Wurzeln der Rebe streuen und sie mit Erde bedecken, und noch den Prinzen mit meiner Feder berühren. Alsbald wird er wieder blühen und der Prinz genesen. – Nun aber sage ich dir, wecke mich nicht wieder auf zum vierten Male.« –

Kaum war er eingeschlafen, so reichte die Frau die drei Federn dem Pastetenbäcker, der unter dem Bette lag, mit diesen Worten: »Verwahre sie; du hast gehört, was mit ihnen zu thun ist: und ich weiß nicht, wie ich die andern kriegen werde.« Damit drehte sie sich zu ihrem Mann und rieß ihm die vierte aus. Der sprang aus dem Bette vor Wuth und Schmerz und gab seiner Frau zwei derbe Stöße. »Du Unhold du, werd' ich vor dir gar nicht schlafen können diese Nacht! Ich glaube, du rupfst mir wirklich meinen Schwanz.« – »Ach lieber Mann, ich fange an zu glauben, daß ich behext bin; da hatte ich wieder einen fatalen Traum: mir träumte von einem häßlichen Königssohn, der mich liebhaben wollte und küssen, und er war so abscheulich häßlich, daß ich mich so entsetzte und mich an deinem Schwanz festhielt.« »Nun wahrlich, er muß sehr häßlich gewesen sein, daß du mich so gezupft hast!« – »Ach ja, stelle dir vor eine Figur von kaum zwei Fuß, hinten und vorn mit einem Buckel, einem Kopf, der so breit ist, als sein ganzer mißgeschaffener Leib lang ist, und darauf eine Nase, die noch mit drei andern kleinern Nasen besetzt ist, und rothe Augen.« Hierüber konnte sich der Popanz des Lachens nicht enthalten und er rief aus: »Aha, du hast den Prinzen Kabubulusch gesehen!« – »Ei lieber Mann, also giebt es solch einen?« – »Ja, und seine Mutter ist dazu eine der schönsten Frauen, die man sehen kann, und Fee zugleich?« – »Aber, kann sie ihm denn keine andere Gestalt geben?« – »Nein, es sei denn, daß der Hahn, von dem ich vorhin gesagt habe, seine Gestalt wieder kriegt, dessen Mutter ihn verwünscht hat, dadurch, daß man ihm die Sporn abschneidet und sie in des Prinzen Fersen steckt. Nun aber schlafe.«

Er thats, aber sie ließ ihn nicht lange schlafen, sondern riß mit aller Gewalt noch eine Feder aus und schrie dabei fürchterlich. »Ach lieber Mann, schon wieder ein schrecklicher Traum!« – »Du hörst die ganze Nacht nicht auf zu träumen und mich zu zupfen; sieh, wenn ich dir nicht so gut wäre, so fräße ich dich auf der Stelle: ich habe heut so nicht viel gefressen und rieche beständig Menschenfleisch. Was hast du denn wieder geträumt?« – »Ich träumte, daß du ausgegangen warest, und plötzlich trat ein Fremder herein, der einen Kasten auf dem Rücken trug, worin Tag und Nacht sein sollte. Ich war neugierig und bat ihn, mich hineinsehen zu lassen, und siehe, er packte mich und wollte mich in seinen Kasten stecken: daher muß es gekommen sein, daß ich dich so gezogen habe.« – »Was du für närrisches Zeug träumest!« – »Giebt's denn einen solchen Mann?« – »O ja, den hab ich ja in meinem Lande!« – »Aber wie kommt es denn, daß ich ihn nie gesehen habe?« – »Das ist, weil du das Mittel nicht kennst, wodurch man ihn sieht oder gebrauchen kann.« – »Was muß man denn thun, um seiner habhaft zu werden?« – »Das ist ebenfalls ein Mittel, das von mir abhängt, denn es gehört eine Feder aus meinem Schwanze dazu. Man muß diese Feder in die Ritze des Kastens zu bringen suchen: alsbald geht der Mann mit dem Kasten, wohin man will, und thut, was man ihm befiehlt. Jetzt aber, hoffe ich, wirst du mich schlafen lassen und nicht mehr träumen; denn die Nacht ist bald zu Ende.«

Er entschlief wieder, die Frau nicht faul, riß ihm die sechste Feder aus. Er schalt fürchterlich: »Verdammtes Weib! ich glaube wirklich, daß du besessen bist.« – »Ach lieber Mann, ich weiß nicht, wie ich diese Nacht mit ungeheuern Träumen geplagt bin: eben träumte ich, daß in deiner Abwesenheit hier Leute hereinkamen, die mir sagten, daß sie ein Schiff hätten, das so gut zu Lande, als zu Was-ser ging; und ob ich es nicht sehen wollte? Als ich herausging, wollte mich einer packen und in das Schiff setzen; daher meine Angst. So ein Schiff giebt es aber wohl nicht?« – »O ja, und es gehört mir, es kann niemand sich desselben bedienen, es sei denn, daß er eine Feder aus meinem Schwanz hätte.« – »Wenn dies nun wäre, würdest du denn nicht mit deinen andern Federn dagegen wirken können?« – »Nein, weil mein Schwanz nur 60 Federn hat und sie alle 60 ihre eigene Bestimmung haben; und wenn man mir eine Feder auszöge mit dem Ge-danken von einer dieser Bestimmungen, so träfe man immer die dazu gehörige, so daß ich alsdann keine Macht mehr darüber hätte.« »Wie findet man aber das Schiff?« – »Man kann nicht fehlen; man legt die Feder vor sich an die Erde nieder, sogleich erhebt sie sich und fliegt ganz langsam zu dem Ort hin, wo das Schiff steht: hier läßt sie sich herunter und man nimmt sie und pflanzt sie als Fahne auf den Mast, worauf es so gut zu Lande als zu Wasser geht. – Nun aber sage ich dir, störst du mich noch einmal, so binde ich dich an die Bettstolle, damit ich Ruhe vor dir habe.« – Er drehte sich um und schlief, aber nicht lange, denn die Frau zögerte nicht, ihm auch die siebente und letzte Feder auszureißen. Worauf er aufsprang und sie wirklich anbinden wollte. Sie bat und liebkosete ihn aber so viel, daß er sich wieder beruhigte. Sie versprach ihm heilig, es nicht wieder zu thun, sie wollte lieber die ganze Nacht wach bleiben, um den bösen Träumen zu entgehen. – »Nun, was hast du denn schon wieder geträumet?« – »Es war mir, als wenn ich von einem fremden Mann entführt würde, und zwar mit meinem Wissen und Willen. Könnte das wohl geschehen, und ohne daß du es merken würdest?« – »Es könnte wohl gehen: aber wehe dir und dem, der es unternähme! Ihr wäret beide des Todes: es wäre denn, daß er die Feder hätte, wodurch ich dich halte, und was freilich nicht gut wäre für mich, wiewohl für viele andere: denn dein Gemahl, der Prinz, welchen du glaubst, daß ich ihn gefressen habe, ist eben der Prinz, welcher immer krank ist, und dein Sohn, das ist der Weinstock.« Mit diesen Worten schlief er, müde von dem vielen Wachen, wieder ein. Kaum hörte sie ihn schnarchen, so stand sie leise auf, zog den Pastetenbäcker unterm Bette hervor und schlich mit ihm leise zum Schlosse hinaus. Das erste, was sie thaten, war in dem Wald den Zwerg aufzusuchen, und mit ihm zu thun, wie sie von dem Popanz gehört hatten. So thaten sie es auch mit dem Kasten, worin Tag und Nacht, und dem Land- und Wasserschiff. Sogleich setzten sie sich in dieses und fuhren fort.

Unterdessen war es Tag geworden und der Popanz erwachte. Als er seine Frau vermißte, fiel es ihm aufs Herz; er besah seinen Schwanz und da er seine Federn zählte, ward ihm alles klar. Sogleich faßte er die Feder an, welche ihm alles offenbarte, und erfuhr dadurch die Flucht seiner Frau mit dem Pastetenbäcker. Er war außer sich vor Bosheit und Wuth und wollte schier von Sinnen kommen; er schwur sie zu verfolgen und sich zu rächen und sollte er auch darüber seinen ganzen Schwanz einbüßen. Er säumete auch nicht lange, und machte sich gleich fertig. Er nahm eine Feder, biß darein und sogleich waren mehr als 100,000 Soldaten zu Pferde hinter das Schiff mit den Flüchtigen her. Aber die Frau, die das merkte, warnte den Pastetenbäcker, und ließ sie dem Schiffe ganz nahe kommen: alsdann befahl er dem Riesen, sie alle zu nehmen und hundert Klafter tief in die Erde zu schmeißen. Das geschah auf der Stelle, und alle verschwanden mit Roß und Mann. Als dies der Popanz sah, biß er in eine andere Feder, und sogleich wurde das Schiff verfolgt von einem Heer Schlangen, Eidechsen, Kröten und anderm giftigen Gewürm. Der Pastetenbäcker steckte in der Angst noch eine von den Federn auf den Mastbaum, und das Schiff flog, wenn es vorher nur ging; und das Gewürme aber immer stärker hinterdrein. Endlich kamen sie an einen großen See. Hier befahl er dem Schiff still zu stehen, und so wie das Ungeziefer nahe genug war, ließ er den Kasten drehen und finstere Nacht machen. Kaum war das geschehen, so fuhr das Schiff wieder von dannen: das Gewürm aber verfolgte und fiel alles in das Wasser.

Unterdessen kamen sie in das Königreich ***; denn der Popanz hatte sie nicht weiter verfolgt, indem er gewiß glaubte, die Thiere würden sie einholen und zu Tode quälen. Der Pastetenbäcker ließ den Riesen das mit seinen Bewohnern versteinerte Schloß umkehren, berührte seine geliebte Prinzessin mit der Feder und sogleich erwachte sie sammt allen aus der Erstarrung. Die beiden Geliebten freuten sich des lebendigen Wiedersehens und umarmten sich inbrünstig. Der König gerührt über die treue Liebe, und über den Muth und die Standhaftigkeit seines und ihres Erlösers, dagegen erzürnt über die Unthat des Prinzen, gab sogleich seine Einwilligung in die Vermählung der beiden Geliebten. Sein neuer Eidam dankte für diese Güte, bat aber noch um einen kurzen Urlaub, indem es ihm obläge, noch die andern, mit der gegenwärtigen verbundenen, Bezauberungen aufzulösen, ehe er würdig wäre, die Hand der geliebten Prinzessin zu empfangen. Es ward ihm, wiewohl nicht zu gern, verstattet. Er reiste weiter, die Frau des Popanzen aber blieb bei der Prinzessin. Sie fuhren beinahe drei Jahre, ehe sie in das Königreich kamen, indem sie viel Ungemach von Zauberern und auch vom Popanz zu erdulden hatten.

Endlich kam er an das Schloß der Prinzessin, die im tausendjährigen Schlafe lag; er that, wie ihm gesagt war, und die Prinzessin erwachte. Sie sprach sogleich zu ihm: »Großmüthiger Fürst, wie viel Dank bin ich dir schuldig! du hast mir das Licht und Leben wiedergegeben: aber zugleich mich nur erweckt, um in den größten Schmerz zu versinken. Das Hündlein, das du getödtet hast, ist mein Geliebter, ein edler Prinz von Geburt, und keiner vermag ihm das Leben zu geben, als du. Laß dein Werk nicht halb vollendet, und erwecke auch ihn.« – »Wie kann ich das?« fragte der Fürst. »Hier, sagte die Prinzessin, indem sie ihm ein blankes Schwert reichte, haue dem Hündlein den Kopf ab, und lege ihn säuberlich hier auf's Bett.« Und nun entblößte sie ihren schönen Hals, der so weiß als Alabaster war; »nun haue auch meinen Kopf ab, und wenn das geschehen ist, setze meinen Kopf auf des Hündleins Rumpf und des Hündleins Kopf auf meinen Rumpf; und du wirst Wunder sehen.« »Der Prinz that, wie sie sagte.« Kaum war es geschehen, so sprangen die Köpfe wieder zurück, jeder auf seinen Rumpf, und die Prinzessin steht lebendig und unversehrt da, aus dem Hündlein ist aber plötzlich ein schöner Prinz geworden, welcher ihr um den Hals fiel und ausrief: »Ja, du liebst mich, und ich werde von nun an mehr Zutrauen zu dir haben.« Hierauf dankten sie ihrem Befreier und erzähltem ihm ihre Geschichte.

Der junge Held fuhr weiter und gelangte zu dem Prinzen mit dem Weinstock; er that, wie er vernommen hatte und beide fingen an wieder zu blühen, aber der Weinstock war noch nicht wieder verwandelt: dieß geschah durch Berührung mit der einen übrigen Feder, und Sohn und Vater erkannten und freuten sich herzinniglich, und noch mehr, als sie von ihrem Befreier vernahmen, daß ihre Gattin und Mutter noch am Leben und ebenfalls erlöset wären. Sie setzten sich darauf alle zusammen ins Schiff, nahmen auch den Hahn, und brachten ihn der schönen Fee, durch ihn die Verwünschung ihres Sohnes zu lösen und dessen Gestalt zugleich durch die Entzauberung des Hahnes, dessen Mutter unterdeß gestorben war, herzustellen. Die Fee und ihr Sohn, der Nebenbuhler unsers Helden, wurden dadurch mit ihm versöhnt. Dieser nun mit seinen Gefährten kehrte zurück zu seiner geliebten Prinzessin. Alle freuten sich des Wiedersehens, zumal die gewesene Frau des Popanzes mit ihrem Mann und Sohn. Sie feierten aufs neue ihre Vermählung mit der des Prinzen und der Prinzessin, die herrlich und in Freuden begann und endigte.

Quelle: Johann Gustav Gottlieb Büsching: Volkssagen, Märchen und Legenden, Leipzig, Reclam, 1812,