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Der Gasthof zum Riesen

Ein junger Mann ging einmal über das Gebirge, um sein Glück zu machen. Er tat sehr geziert, ächzte auch öfters, denn das Steigen machte ihm Mühe. Bald holte er einen anderen Jüngling ein, der den gleichen Weg hatte, und da es sich in Gesellschaft besser geht, entschloss er sich, die Bekanntschaft des anderen zu suchen. Bald hatten sich die jungen Herren mit tiefer Verneigung vorgestellt, gingen zu zweit und kamen in ein Gespräch. Beide waren Kaufleute, die die Lehrzeit noch nicht lange hinter sich hatten. Der eine stammte aus Liegnitz, der andere aus Öls. Beide waren genug von ihren Handelsherren gebeutelt und gerüffelt worden. Nun wollten sie mit ihren sorgsam im Rock versteckten Ersparnissen nach Wien, um dort als Gehilfen irgendwo einzutreten, wie das so viele Schlesier in jener Zeit taten.

Das Einfachste wäre nun wohl gewesen, wenn die beiden jungen Leute einander die Wahrheit gesagt hätten und offen und ehrlich geblieben wären. Statt dessen nahmen sich die Gecken vor, sich gegenseitig tüchtig zu belügen und recht großzutun.

»Ihr müsst wissen«, begann der eine, »dass meine Mutter von altem Adel ist. Natürlich hat dadurch meine Familie sehr wichtige Beziehungen, und immer bin ich es, der den Vermittler spielen muss. Gegenwärtig habe ich einen wichtigen Auftrag an den Grafen Schaffgotsch in der Hauptstadt. Mein Wagen hat mit meinen Lakaien den Fahrweg genommen, unten wird man mich erwarten.«

»So geht es auch mir«, log der andere. »Daheim darf es keiner wissen, dass ich zu Fuß über die Berge will, denn mein Vater hat einen Marstall von einigen zwanzig Rassepferden, dazu ein halbes Dutzend Kutschen jeder Art. Aber ich hatte mich zu einer Wanderung entschlossen, einesteils um das Gebirge besser kennenzulernen, und dann auch aus Gesundheitsrücksichten. Nennt es eine Laune oder einen wunderlichen Einfall!«

»Da Ihr gerade von Gesundheit redet, so kann ich davon auch ein Liedchen singen. Plagte mich da neulich eine lästige Heiserkeit. Glaubt Ihr, dass ich, um das Ding loszuwerden, zweitausend Joachimstaler für Latwergen und Pillen ausgeben musste? Ich hätte ja gar nicht so viel Aufhebens davon gemacht und zu niemanden darüber gesprochen, aber einer von meinen Lakaien hatte die Geschichte ausgeplauscht. Es sprach sich rasch herum, und nun beschwor man mich, eine derartige Erkältung nicht leicht zu nehmen. Meine Muhme, die Fürstin Liliental, ließ eigens den Doktor Walbrecht aus Holland kommen, und da, seht Ihr, war ich nicht mehr mein eigener Herr.«

»Ja, mit den Lakaien! Da hatte mein Vater einen solchen Kerl, der ganz vertrauenswürdig schien und sich lange Zeit bewährt hatte. War auch aus gutem Hause, denn sein Vater war kaiserlicher Offizier gewesen. Was meint Ihr? Vorige Woche schickt ihn mein Vater mit zwölftausend Gulden fort, und der Schlingel ist bis heute nicht wiedergekommen. Er ist einfach damit durchgegangen. Mehrfach wurde nun dem Vater nahegelegt, Polizei und Gerichte davon zu verständigen, aber in solchen Dingen ist der alte Herr sehr nachlässig. Freilich machte der Verlust bei uns nicht mehr aus, als wenn ein anderer einen Kirchenpfennig einbüßt.«

Als die jungen Herren eine Zeit lang so aufgeschnitten hatten, wobei sie immer hochmütigere Mienen aufsetzten, erblickten sie am Weg einen anderen Reisenden, der sich ein wenig ausruhen wollte. Es war ein Handwerksgeselle, ein frischer Bursche mit einem heiteren, fröhlichen Gesichtsausdruck. Sein Felleisen lag neben ihm samt dem Knotenstock. Als die beiden näher kamen, stand er auf, nahm sein Paket und den Stock und rief ihnen munter entgegen: »Grüß Gott! Da kommt Kumpanei. Darf ich mich anschließen? Mitsamm geht’s lustiger.«

»Es ist köstlich!«, meinte der eine der beiden, »diese Sprache! Das wird ein Hauptspaß werden. Was ist Er denn?«

»Ein Drechsler bin ich, der Arbeit sucht.«

»Zum Kugeln? Arbeit sucht Er? Und wie kommt Er denn in diese Gegend?«

»Nun, wie Ihr auch, Ihr Herren. Der Handwerksbursch wirft seinen Stock in die Luft, und wo die Spitze hinzeigt, dahin wird gewandert.«

Die Herren lachten nun unbändig. Aber der Drechsler durfte mitgehen, wohl, damit sich die beiden Großhänse von ihren Prahlereien auf seine Kosten etwas erholen konnten. Er erzählte ihnen dies und jenes, und die Herren kamen aus dem mitleidigen Gelächter nicht heraus, lachten auch dann, wenn jede Veranlassung dazu fehlte.

Einmal aber blieb der Neffe der Fürstin Liliental stehen, machte ein sehr bedenkliches Gesicht und sagte: »Ich bitte sehr um Verzeihung, allein ich kann mir nicht anders helfen, ich habe einen Riesenhunger.«

»Und mir geht es nicht anders. Mein Vater gab gestern Abend ein Nachtmahl, zu dem eine Menge angesehener Leute geladen waren, sechs Gänge, wie gewöhnlich, und zu jedem Gericht eine andere Weinsorte. Ich sage Euch, es war mir nicht möglich, etwas zu genießen, es widerstand mir einfach. Ich hätte besser getan, auch ohne Appetit tüchtig zuzulangen, denn jetzt rächt sich diese Versäumnis.«

»Hätte ich mir wenigstens einige Pasteten eingesteckt, oder einen halben Fasan, wie man es mir riet. Ich würde auch jetzt eine Portion Rheinlachs nicht verschmähen.«

»Mir wäre ein Stück Brot und ein Handkäse schon recht«, sagte treuherzig der Drechsler, »aber der Herr vom Berge duldet hier, so nahe an seiner Wohnung, kein Wirtshaus.«

Nun hatten die Herren Barone wieder etwas zu lachen. »Er meint den Rübezahl! Haha! Den Rübezahl! Der doch bloß in den Köpfen der Einfältigen spukt.«

»Es muss auch Einfältige geben, sonst hätten die Gebildeten niemanden, der ihre Arbeiten verrichtet.«

»Und hätten nichts zu lachen.«

»Und zu bedauern.«

»Sehe ich recht, da ist doch ein Wirtshaus! Das war doch früher nicht?«, rief der Drechsler.

In der Tat lugte durch die Bäume ein Gebäude mit Ställen und Schuppen, das nichts anderes als ein Wirtshaus sein konnte. Näher gekommen sahen sie, dass der Drechsler sich nicht geirrt hatte.

Da stand breit am Wege allerdings eine Herberge. Gasthof zum Riesen lasen sie auf dem Schild, und in der Tür wartete ihrer schon der Wirt, der mit pfiffigem Lächeln die Mütze zog und die Herren einlud, bei ihm einzukehren. Ohne Besinnen und ohne den Gruß zu erwidern, traten die beiden vornehmen Herren ein und flegelten sich auf eine Bank.

»Ich glaube nicht«, meinte der Liegnitzer, »dass man in einer solchen Spelunke ein standesgemäßes Unterkommen findet. Man muss eben fürliebnehmen.«

Der Ölser meinte: »Es riecht hier sehr nach armen Leuten.«

Nun trat der Wirt lächelnd hinzu und fragte nach ihren Wünschen.

»Was gibt es denn bei Ihm zu genießen?«, fragte der Liegnitzer, sehr von oben herunter.

»Was der Herr Baron wünschen.«

»Gebackene Gans?«

»Sehr wohl. Und was befehlen der Herr Baron zu trinken?«

»Sagen wir Burgunder.«

»Soll sofort zur Stelle sein. Und der Herr Doktor wünschen?«

Dem Ölser gefiel es außerordentlich, dass ihn der Wirt als Doktor titulierte. Aber es grauste ihm vor dem, was er jetzt erwidern musste, denn er durfte dem Reisegefährten, den er für einen Baron hielt, doch nicht nachstehen. Und dabei war sein Geldbeutelchen doch gar nicht auf solch kostbare Mahlzeiten eingerichtet. Aber nur nicht bloßstellen! Nicht ärmlich und bescheiden tun!

Und so sagte er denn vornehm nachlässig, wenn auch mit etwas Herzklopfen: »Rehrücken und eine Flasche guten Malaga.«

Dabei ahnte er nicht, dass es dem »Baron« nicht anders zumute war als ihm. Dem verging der Appetit bereits, wenn er an die Bezahlung der Zeche dachte.

Der Drechsler war der Einzige, dem es in der Wirtsstube wohl war. Er hatte Rübezahls Gruß – denn der Wirt war kein anderer als der Berggeist – freundlich erwidert und sich dann bescheiden in ein Eckchen gesetzt, Hut, Felleisen und Stock abgelegt. Auch ihn fragte der Wirt nach seinen Wünschen. Er bestellte aber nur eine Scheibe Brot und, wenn es möglich sei, ein wenig Koppenkäse.

»Nicht auch etwas Butter dazu?«, fragte Rübezahl.

»Das möchte mir zu teuer kommen«, antwortete ehrlich der Handwerksbursche, »Butter leiste ich mir ja auch daheim nicht.«

»Wird schon nicht zu teuer kommen. Und wie ist es mit einem Fläschchen Ungarwein, Niersteiner, Tokaier, Bordeaux?«

»Behüte!«, rief der Bursche ganz erschrocken, »wann in meinem Leben hätte ich einmal Wein getrunken! Das ist etwas für feine und reiche Leute. Ein Gläschen Dünnbier tut’s auch.«

Bald brachte Rübezahl die Speisen und Getränke: Gesottenes und Gebratenes für die Herren; Brot, Butter und Käse für den Handwerker. Dann kamen auch die Getränke. Alles war vom Besten.

Die Herren schmausten, im Innern sehr bedrückt, nur der Drechsler griff fröhlich zu und aß mit Appetit. Nach Art der Wirte kam Rübezahl nach einiger Zeit und fragte die Herren, wie es ihnen munde.

»Wie kann das schmecken?«, sagte der eine, »das Fleisch ist ja zäh wie Hosenleder. Nicht zu genießen. Und der Wein? Der riecht nach Dachtraufe.«

»Ich biete meinen Lakaien einen solchen Fraß nicht an«, meinte der andere, »und den Wein, solchen Wein, den schütten wir in die Teiche, wenn wir die Fische vergiften wollen.«

Nun fragte Rübezahl auch den Drechsler, wie ihm die Mahlzeit behage.

»Ei, das seht Ihr wohl, Herr Wirt«, antwortete der ehrlich, »dass es mir schmeckt wie lange nicht. Das Brot ist wunderbar kräftig, die Butter schmeckt wie Nuss so süß, und den Käse habe ich noch nie so schön gefunden. Solche Leckerbissen bin ich freilich nicht gewohnt. Seid so gut, Herr Wirt, und sagt mir, was ich für die Zeche zu bezahlen habe.«

Da fing Rübezahl scheinbar ernsthaft an, zusammenzurechnen, und der Drechsler musste ihm ein paar Pfennige bezahlen.

»Das kann doch nicht stimmen, Herr Wirt«, sagte er, »ich habe eine gute Mahlzeit gehabt.«

»Es hat schon seine Richtigkeit«, erwiderte Rübezahl, »und ich will Euch obendrein noch ein Geschenk machen. Ihr seid doch ein Drechsler, und da wird Euch dieses Stück von Nutzen sein.«

Damit reichte er ihm einen sehr kunstvoll gedrehten Kegel. Der Handwerker dankte dafür, besah das schöne Stück mit Kennermiene, lobte die Arbeit und versicherte, solches Holz noch nie gesehen zu haben. Das müsse wohl aus weiter Ferne kommen. Dann verabschiedete er sich von dem Wirt, nahm sein Felleisen und ging davon, denn er hatte gemerkt, dass den aufgeblasenen Herrchen an seiner Begleitung nichts gelegen war.

Auch die wollten gehen und bezahlen. Der Liegnitzer hatte beobachtet, dass Standesherren in den Gasthäusern die Gewohnheit haben, ihre Börse auf den Tisch zu legen. Der Wirt nimmt dann heraus, was ihm zukommt, und legt den Beutel wieder hin. Also nahm auch er sein Beutelchen heraus, tat recht gleichgültig und warf es dem Wirt zu.

»Mache Er sich bezahlt!«

Der Ölser beeilte sich, die vornehme Zahlweise seines Begleiters nachzuahmen, warf seine Spargroschen dahin und näselte: »Desgleichen.«

Rübezahl steckte beide Beutel ein und räumte ab. Da sahen nun die beiden Großhänse, was ihnen das Vornehmtun eingebracht hatte. Jetzt waren sie ihr weniges Geld los und saßen mittellos in dem öden Gebirge, ohne Aussicht, zum Abend eine andere Schlafstelle zu erhalten als unter freiem Himmel.

Da wurden sie ärgerlich über die eigene Torheit, aber, anstatt auch hier ehrlich zu bleiben wie der Drechsler, den sie im Stillen beneideten, ließen sie ihren Verdruss lieber an dem Wirt aus.

»Seine Wirtschaft ist eine rechte Spelunke, Herr Wirt. Er sollte wirklich etwas Besseres tun, als den Fremden mit erbärmlichem Essen und Trinken aufwarten und ein solches Loch auftun, das sich allenfalls für Wegelagerer, Handwerker und Gesindel schicken mag, aber nicht für feine Leute, die zur besten Gesellschaft in Liegnitz und Öls gehören.«

Da wurde Rübezahl böse. Streng sah er sie an und sprach mit lauter Stimme: »Feine Leute seid ihr? Meint ihr, ich wüsste nicht, dass ihr Handelsbuben seid, die die Lehre eben hinter sich haben? Du willst den Liegnitzer Baron herausbeißen, Fritz Täubig? Deine Mutter ist eine arme Witwe. Deine Tante, aus der du eine Gräfin machen wolltest, ist eine Armenpfründnerin und wohnt im Spittel. Und du, Karl Klucke, bist ein aufgelesenes Kind, von Besenbindern aufgezogen. Von euch beiden hat keiner Ursache, große Ansprüche zu machen, wenn er im Wirtshaus sitzt, wo ihm gut aufgewartet wurde. Und nun hinaus mit euch Habenichtsen! Vorher sollt ihr aber auch euer Geschenk erhalten, so gut wie der Drechsler.«

Und nun regnete es Prügel auf die beiden verdutzten Bürschchen, bis sie sich, arg verbleut, draußen wiederfanden. Sie liefen, was sie konnten, den Berg hinunter und hatten nicht eher Ruhe, bis sie im ersten Dorf waren.

Als sie dort nun saßen und ihr Geschick beklagten, und nun zum ersten Mal ehrlich gegeneinander waren, da fasste der Liegnitzer zufällig in seine Tasche und fand darin zu seinem höchsten Erstaunen seine Börse wieder, die er oben in dem verhexten Wirtshaus gelassen zu haben glaubte. Er öffnete sie und machte die Entdeckung, dass nicht nur das ganze Sümmchen bis auf den letzten Heller darin war, sondern dass Rübezahl auch noch einen neuen schönen Dukaten hinzugefügt hatte. Nun fasste auch der Ölser in seine Tasche und fand sein Eigentum ebenfalls wieder und einen goldenen Notpfennig dazu. Da waren beide froh, dass sie von dem Berggeist so gelinde gestraft worden waren.

Sie kamen dann nach Wien und fanden dort gute Stellen. Wenn sie sich später am Ring oder am Prater einmal begegneten, der eine mit einem Paket Tuch unter der Achsel, der andere mit einer verschnürten Last, dann lachten sie sich an und führten ein anderes Gespräch als damals, etwa so.

»Servus! Wie geht’s, Herr Baron?«

»Dank’ vielmals, Herr Doktor, leidlich. Ihnen auch? Freut mich. Hab’ die Ehr’!«

»Hab’ die Ehr’!«

Noch seltsamer erging es dem Drechsler, der munter mit seinem Kegel talab trabte. Er war mit sich und der Welt wohlzufrieden und pfiff lustige Weisen. Da kam es ihm vor, als ob der Kegel immer schwerer würde, zuletzt schien es ihm, als ob er mit Blei ausgegossen wäre.

Gern hätte er sich der Last entledigt, aber weil es ein so schönes seltenes Holz war und ein Geschenk, so quälte er sich damit bis ins nächste Städtchen. Als er sich dort den Kegel genau besah, entdeckte er, dass das seltene Holz sich in pures Gold verwandelt hatte. Das machte er nach und nach zu Geld, kaufte sich ein Haus und eine Werkstatt und fing an rüstig zu arbeiten. Er bekam gute Kundschaft und hatte nichts auszustehen.

In späterer Zeit ging er einmal am Sonntag mit Frau und Kind auf den Berg, um jenes Gasthaus zu besuchen, in dem ihn Rübezahl einst so reichlich bewirtet und so herrlich beschenkt hatte. Er hatte sich die Gegend damals wohl gemerkt, fand aber jetzt keine Spur eines Hauses oder Gehöftes mehr vor. Rübezahl hatte die Geisterherberge nur errichtet, um jungen, unverständigen Leuten eine weise Lehre zu geben.

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