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Der arme Heinrich

Als Heinrich Weise zwanzig Jahre alt war, sah er aus wie ein 25- oder 26-Jähriger, so groß war er, so kräftig und gesund. Kein Wunder, dass die Mutter ihre helle Freude an ihm hatte, glich er doch ganz dem verstorbenen Vater und war dazu ihr einziges Kind. Zudem war er in der kleinen Wirtschaft sehr tüchtig und auch sonst ein folgsamer und braver junger Mensch, wie wenige im Gebirge. Die Mutter hätte gar nicht gewusst, wie sie ohne ihn hätte fertig werden sollen.

Eines Tages sagte er: »Mutter, ich will unseren Ochsen anspannen und in die Stadt fahren, um Saatkorn zu kaufen. Du weißt ja, dass wir bestellen müssen. Ich bin wohl rasch fertig und komme bald wieder heim.«

»Ja, geh nur«, antwortete sie, »und bringe mir auch einen anderen Topf mit für den, der neulich geborsten ist. Komme nicht so spät, ich will dir das Essen warmhalten.«

Da ging der Sohn fröhlich davon. Aber die Mutter wartete vergeblich mit dem Abendessen auf ihn. Er kam nicht. Auch am anderen Tage nicht, kam überhaupt nicht mehr wieder. Da weinte die Frau, wie nur eine Mutter weinen kann, die ihren Sohn verloren hat, und wünschte sich den Tod. Als der aber auch nicht kam, fasste sie sich und mietete eine Magd, damit die Wirtschaft nicht verkäme und sie durch fleißige Arbeit von ihrem Kummer abgelenkt würde.

Heinrich war es inzwischen merkwürdig ergangen. Er war in die Stadt hineingekommen und hielt, wie er immer zu tun pflegte, vor dem Gasthaus an. Da fand er alles voll Soldaten, die meistens betrunken waren. Ein kaiserlicher Werber hatte nämlich sein Quartier da aufgeschlagen und wollte eben mit seinen Leuten wegziehen, um seine Reise ins Ungarland fortzusetzen. Als er den kräftigen Burschen erblickte, der arglos eintrat, lachte ihm das Herz. Er begrüßte den jungen Bauern sehr freundlich, nötigte ihn, sich zu ihm zu setzen, und bot ihm zu trinken an. Heinrich ahnte nichts Gutes und weigerte sich, Wein anzunehmen. Da wurde der Werber böse und zog seinen Degen.

»Entweder du trinkst oder es gibt ein Unglück.«

Da tat ihm Heinrich den Gefallen, um Ruhe zu haben. Nun aber erklärte der Werber, der Vertrag sei geschlossen, und Heinrich wäre kaiserlicher Soldat. Die Betrunkenen zogen ihm nun jubelnd seine Kleider aus und steckten ihn in eine Reiteruniform. Das Geld, das sie bei ihm fanden, behielten sie für ihre Mühen, den Ochsen erklärten sie als Eigentum des Regiments, den Wagen schoben sie in den Schuppen des Wirtes.

Heinrich erhob Einspruch gegen die Gewalt, sagte auch, dass er der einzige Sohn seiner Mutter sei, die ihn nicht missen könne, aber sie überschrien ihn. Nach alten Frauen könnten sie nicht fragen. Außerdem sei es eine hohe Ehre, im Heer des Kaisers zu sein und gegen die Türken zu fechten. Die hätten zudem nur goldene Säbel und silberne Lanzen, da könne einer große Beute machen und im Handumdrehen schwerreich werden.

Es half also kein Bitten und Klagen, Heinrich musste ins Ungarland und sich da mit den Türken herumschlagen. Einmal wurde eine starke Festung belagert. Da schossen die Türken Tag und Nacht und fügten den Kaiserlichen viele Verluste zu, und eine unglückliche Stückkugel riss dem armen Heinrich den Unterschenkel weg. Das tat seinen Kameraden sehr leid, und sie brachten ihn zum Feldscher, denn mehr konnten sie nicht für ihn tun.

Da wurde ihm nun noch ein Stück vom Knochen abgesägt, und als die Wunde geheilt war, bekam er einen hölzernen Stelzfuß und dazu eine einfache Krücke.

Sowie er nun damit gehen oder wenigstens humpeln konnte, sagte der Hauptmann zu ihm. »Du bist jetzt entlassen, mein guter Bursche, denn wir können dich beim Regiment nicht mehr verwenden. Für dich fängt jetzt eine goldene Zeit an. Du brauchst nicht zu arbeiten, denn du hast als kaiserlicher Bettelmann das Recht, in jedem Haus vorzusprechen und dir eine Mahlzeit oder ein Nachtlager auszubitten. Wir armen Kerle dagegen müssen weiter Pulverdampf schlucken und uns mit den verdammten Heiden herumprügeln. Du sollst sehen, dass sie dich überall mit Freuden aufnehmen, denn du hast etwas durchgemacht, du kannst viel erzählen, und wenn du ihnen noch einen tüchtigen Bären aufbindest, so ist das nur dein Vorteil. Lebe wohl! Glückliche Reise!«

Diese Trostgründe wollten bei dem armen Burschen aber gar nicht verfangen. Es war ihm mehr zum Weinen als zum Lachen, als er seine Reise nach der Heimat antrat, denn dahin stand sein ganzes Sinnen und Streben.

Nach unendlichen Mühen, nach Wochen und Tagen, nach den größten Entbehrungen, abgemagert, abgerissen und schwach, erblickte er endlich die Koppen des heimatlichen Riesengebirges. Dahinauf kroch er schneckenlangsam, denn alle Augenblicke musste der einst so kräftige Jüngling sich ausruhen. Rübezahl hatte ihn schon lange beobachtet, und das Unglück des jungen Menschen ging ihm zu Herzen. Wie zufällig schlenderte er, wie ein älterer Offizier anzusehen, daher, tat, als ob er den armen Heinrich ganz zufällig bemerke, bandelte mit ihm an und klopfte ihm leutselig auf die Schulter.

»Schönes Leben, junger Freund, so in der freien Natur zu sein und sich durch die Welt zu schmarotzen.«

»Ach, lieber Herr«, erwiderte der arme Heinrich, »mir liegt an dem Müßiggang gar nichts. Es ist mein größtes Unglück gewesen, dass sie mich von der Arbeit weg unter die Soldaten gesteckt haben. Was soll ich armer Krüppel nun in der Wirtschaft anfangen? Meine arme Mutter wird sich zu Tode grämen, wenn sie mich erblickt.«

»Es gewöhnt sich einer an alles«, sagte Rübezahl. »Ich finde übrigens, dass du einen schönen Krückstock hast. Lass sehen! Schönes Holz! Möchtest du ihn mir nicht schenken?«

»Ach, lieber Herr, den kann ich nicht entbehren.«

»Dann schenke mir deinen Stelzfuß!« Kaum war das gesprochen, so riss ihm Rübezahl das hölzerne Bein ab.

»Was macht Ihr, Herr?«, rief Heinrich erschrocken, »wie soll ich nun gehen?«

»Ei, du musst gehen, Bursche! Laufen musst du!« Und ohne Umstände hob er den Krüppel hoch und zog ihn mit sich. Das ging anfangs langsam, nachher aber wie der Wind, bis Heinrich vor dem Haus der Mutter war.

Da warf ihm Rübezahl den Stelzfuß nach und sagte: »Jetzt kannst du auch allein fertig werden.«

Das traf buchstäblich zu, denn als der Bursche sich recht besah, hatte er statt des jämmerlichen Stumpfes wieder ein gesundes Bein, der Stelzfuß aber hatte sich in Rübezahls Hand in Gold verwandelt. Er fand auch seine Mutter wieder, gesund und wohl, und der Freude und des Glückes war nun kein Ende.

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