Von den Sorben
Wilhelm Lebrecht Götzinger, Geschichte und Beschreibung des churfürstlichen Amts Hohnstein mit Lohmen, S. 14-16
Das mächtige Volk der Sorben stammte von einer ausgebreiteten Nation in Asien hinter dem schwarzen Meere, den Slaven her, welche aus vielen Völkerschaften bestanden. Sie bemächtigten sich in den ersten Jahrhunderten des Christenthums desjenigen Theils von Europa, welcher das heutige Serbien, Bosnien, Kroatien und Dalmatien ausmacht, und ließen sich dort nieder. Nach der Zeit im Jahr 527 giengen sie das erstemal über die Donau, und wandten sich nun immer mehr in die westlichen Gegenden von Deutschland. Ein Stamm von Ihnen, welcher unter dem Namen Sorben oder Serben bekannt ist, rückte endlich um 534 in das heutige Meissnerland und nahm es nebst der Lausitz ein, weswegen Meissen in den mittleren Zeiten Zyrbia, Schworbia oder Sorabia genennt wurde.
Diese Sorben waren weit gesitteter als die gleichzeitigen Deutschen. Sie hatten ihre guten Gesetze und Ordnungen, legten sich sehr auf die Handlung und den Ackerbau und gaben dem rauhen Lande, welches sie in Besitz genommen hatten, bald eine bessere Gestalt. Denn sie legten viel Dörfer an, bauten Städte und kultivierten das Land, welches noch keine deutsche Nation gethan hatte. Dresden, Leipzig, Chemnitz, Zwickau, Rochlitz, Wurzen und mehrere Stadte und noch mehr Dörfer haben ihnen ihren Ursprung und Namen, so wie die meisten unserer Flüsse, ihre Benennung zu verdanken. Sie theilten ihr Land nach Art der Sachsen in gewisse Distrikte oder Kreise ein, welche sie, anstatt des lateinischen Worts Pagus, Gauen nannten, und gaben einen Zupan oder Aufseher und Richter die Aufsicht darüber.
So lange sie beschäftigt waren ihr Land aufzubauen, blieben sie ruhig. Allein in der Folge, als sie sich stark genug fühlten, fielen sie öfters in das Fränkische und nachmals auch Sächsische Gebiete ein, und verwüsteten alles, wo sie hinkamen. Die Fränkischen Könige konnten nicht viel gegen sie ausrichten. Jenem großen König der Deutschen und Herzog von Sachsen Heinrich I. oder dem Vogler war es vorbehalten der Besieger dieser Nation zu sein. Nachdem er mit den Ungarn, jenen gefährlichen Feinden Deutschlands, einen Waffenstillstand auf neun Jahre schloss, griff er die Sorben, welche im heutigen Meissnerlande wohnten, an. Er eroberte ihre Hauptstadt Grona und richtete eine solche Niederlage unter ihnen an, daß sie es lange nicht mehr wagten, die Sachsen auf neue zu beunruhigen. Sie mußten sich es nun gefallen lassen, daß Heinrich mitten in ihrem Lande Städte und Festungen anlegte und sie mit sächsischen Truppen besetzte. Um die unruhigen Milziener in Zaum zu halten, lies Heinrich der Vogler 922 auf einen Berge an der Elbe eine Festung und Stadt anlegen, welche von dem vorbei fließenden kleinen Fluß Meiße, den Namen Meißen erhielt, und der gesamten Gegend den Namen des Meissnerlandes gab. Die Stadt bevölkerte er mit vielen Deutschen. Die Sorben blieben größtentheils auf den Dörfern, bis sie sich mit der Zeit an die deutschen Sitten gewöhnten, die christliche Religion annahmen und im deutschen Volk aufgingen. Und so erlosch der Name der Sorben mit ihrer Sprache bis auf den kleinen Überrest, der sich noch heutigen Tages in der Lausitz befindet, und welcher ein Theil von der Nachkommenschaft der Milziener zu sein scheint.
Quelle: Die Sagenwelt der Sächsischen Schweiz, Sven Wusch, 2023