Wie der Ginster in die Eifel kam

Etwa um 100 bis 200 n. Chr., als die Eifel von den Römern besetzt war, marschierte von Trier herauf über Bitburg und Oos in einer kalt-windigen Septembernacht eine Kohorte der in Köln stationierten Legion; ich glaube, es war die neunte oder siebzehnte im Reich. Die etwa sechshundert Soldaten kamen von einem ehrenhaften Kommando zurück, das sie auf ein Jahr in die umbrischen Berge auf einen der größten Exerzier- und Übungsplätze des weiten Imperiums geführt hatte, wo sie zusammen mit Kameraden an der neuartigen Steinschleuder des Senators Marius Scoparius ausgebildet worden waren. Die Handhabung dieser weittragenden Wunderwaffe sollten sie den römischen Wachposten an den Kastellen und Wachttürmen weitervermitteln. Schwert, Helm und Brustpanzer, Schnappsack und Beinschienen drückten erbärmlich, aber ihr Kommandeur gewährte gern und oft einen Ordnungshalt.

Auch jetzt, die Marschsäule näherte sich gerade Marmagen, ertönten die knappen schneidenden Kommandos. Die Bremsen an den Scoparius-Geschützen quietschten, Pferde wieherten und schnaubten, Waffeneisen schlug gegeneinander, wenn sich die müden, gepanzerten Centurionen ins Gras legten, um ihre Füße von der Last zu befreien. Unter denen, die klirrend zur Erde fielen, war auch der Centurio Mandubracius aus einem Dorf im cisalpinischen Gallien, der während des letzten größeren Aufenthaltes in der Civitas Dividorum, dem heutigen Metz, eine Liebschaft gehabt hatte, die viel mehr zu sein schien als eine übliche Soldatenliebschaft von der Dämmerung bis zum Trompetensignal am Morgen.

Claudia, so hieß das Mädchen, hatte ihrem Liebsten beim Abschied die Taschen mit Haselnusskernen gefüllt, und der verliebte und träumerisch dreinschauende Mandubracius knabberte schon während des dreitägigen Marschierens an seinen Claudiavorräten. Nun griff er wieder - vor sich hinlächelnd - in seine rechte Hosentasche, um, wenn nicht ihre Nähe, so doch die ihrer Geschenke zu suchen. Aber so genau er auch die Tasche durchstöberte, er fand keinen Claudiakern mehr. Um ganz sicher zu gehen, kehrte er zu guter Letzt sogar seine Taschensäcke um, aber auch dies änderte nichts daran, dass er die Erinnerungsstücke an Claudia über dem eintönigen Marsch bis auf den letzten Kern zwischen seinen blendend weißen Zähnen zermahlen hatte.

Nun meint ihr sicher, es gäbe eine Liebesgeschichte von Mandubracius und Claudia - aber weit gefehlt. Die beiden haben nur insofern mit der Geschichte zu tun, als dass der Centurio aus Liebe zu Claudia und ihren Geschenken bei einer Rast seiner Kohorte unweit Marmagen die Taschen umkehrte. Bei diesem Tun nämlich fielen einige schwarze Samen zur Erde, die sich in der Naht des Taschenfutters versteckt gehalten hatten seit jenem schweren Tag unter der Sonnenglut Umbriens, an dem die Kohorte ihre Schleudern in einem schotenknackenden Ginsterfeld in Stellung gebracht hatte.

Oh, zitterten die armen Samenmännchen im nächtlichen Eifelwind! Dieser trieb die schreienden, rollenden Ginstersamen aus Umbrien wie Bälle vor sich her, hob sie über Hölzer und Steinwälle, trug sie über Bäche und holprige Wege und warf sie hoch in die Luft. So kam eines der Männchen ins Ahrgebiet, eines an den Laacher See, ein anderes in die Mauerreste der Blankenheimer Villa und wieder ein anderes wurde bis über die Maare hinunter zur Mosel gejagt. Als es kälter wurde, krochen sie in ein Erdspältchen oder deckten sich mit etwas wärmenden Lehm zu, so dass alle gut über den Winter kamen, bis auf das Blankenheimer Männchen, das einfach erfror unter dem Eishauch des Nordsturms.

Im Frühjahr, als die Sonne die letzten Schneefetzen geschmolzen und das Erdreich angewärmt hatte, trieben die Ginster-Samenmännchen Keime und schickten Stengel zur Oberwelt, scharfkantige Stengel, angefüllt mit Blattgrün. Sie bildeten ihre Blüten und ihre Samensöhne, die in schwarzen Schoten heranreiften, schleuderten sie viele Meter weit fort, um sie demselben Eifelwind anzuvertrauen, der sie selbst damals so unsanft herumgejagt hatte, als sie noch durchwärmt und verschlafen aus der Hosentasche des Centurio Mandubracius gefallen waren.

So durchwanderten die Ginsterkinder und Ginster-Kindeskinder das Land von der Maas bis an den Rhein. Schließlich hatten sie das ganze Ardennen- und Eifelland besetzt, so dass sie eine Sprechkette bilden konnten zwischen ihren Marmagener Ahnherren. Auf der wiederum gelangte der letzte Wunsch der Alten an die weit verstreut wohnende Ginster-Großfamilie: Alle Kinder umbrischen Samens, so lautete der weitergegebene Wunsch, möchten all ihre Kraft und Dankbarkeit, Wärme und Freude, all ihren Prunk und all ihre Pracht, da sie es schon nicht in Worten vermöchten, doch in Farben in die Welt hinaussingen.

So kam es, dass in einer warmen Mainacht von den Rebhügeln der windungsreichen Mosel bis vor die Tore von Aachen, von den Hügeln der Wallonie bis zum Schluchttal des Rheins die Kinder umbrischen Samens einen goldenen Teppich webten, einen Teppich, auf dessen Goldgrund die Offenbarung aller Dinge zu lesen war, der aus dem Seelengrund des Guten auf der Welt erblühte, aus der Dankbarkeit und der Liebe.

Und die Menschen der Berge sahen staunend das Wunder und suchten es zu deuten: „Der Teppich Unserer Lieben Frau“ sagten die einen, „Gottes Gnadentau“ die anderen, und sie waren recht beschämt in jedem Maimonat und taten das, was nur Beschämte tun können: sie beteten, auch ein Stück Teppich sein zu dürfen und holten das blühende Gold in ihre Stuben als Mahnung und Quell der Kraft zugleich. Nur wer selbst in den Bergen lebt, versteht dies ganz zu ermessen, nur er kann auch mitweben am Teppich Unserer Lieben Frau, über den die Freude den Nichtverlassenseins zu uns kommt und uns wie übermütige Kinder singen und springen und uns demütig in den Choral der Farben und Taten einstimmen lässt, den die Kinder umbrischen Samens einst wie jetzt zum Wonnemonat anstimmen.

Heute nennt man den Ginster im Volksmund „Eifelgold“.

Quelle: Dr. H. O. Penz, Adenau: Wie Gottes Gnadentau in die Eifelberge kam. In: Die Eifel, Eifelvereinszeitschrift, Juni 1954 (leicht gekürzt)