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Vom bösen Ritter am Dietrichsberg

Am Dietrichsberg, so wird in Völkershausen erzählt, da hat auch einmal ein prächtiges Schloß gestanden, in welchem ein gar unmenschlich reicher und mächtiger Ritter wohnte. Der hatte sich schon vielmal verheirathet, seine Gemahlinnen aber waren alle nach kurzer Zeit wieder gestorben, so daß man über den Ritter in der Gegend allerlei Unheimliches munkelte. Allein ein so vornehmer und reicher Herr kriegte immer eher wieder zehn Weiber, als unser Einer eine einzige. Und so kam es denn, daß er sich auch einmal um die bildschöne, älteste Tochter eines reichen Müllers drunten an der Werra bewarb und sie auch bald darauf als seine Gemahlin auf das Schloß führte, wo dann gar große Feste gegeben wurden.

So ging es nun eine Zeit lang ganz gut, da trat eines Morgens der Ritter zu seiner Frau, überreichte ihr die Schlüssel zu sämmtlichen Gemächern des geräumigen Schlosses und sprach: „Liebes Gemahl, da ich auf einige Zeit mich von Dir entfernen muß, so übergebe ich Dir hiermit die Schlüssel zu den Gemächern, schalte nun darin ganz nach Deinem Willen; nur um Eins bitte ich Dich, gelobe mir bei unserer Liebe, das eine Zimmer, zu dem dieser kleine Schlüssel paßt, in meiner Abwesenheit nicht zu betreten, es würde sonst ein großes Unglück über Dich und mich kommen“. Als darauf die Frau ihm das gelobt hatte, überreichte er ihr noch ein prächtiges, goldenes Ei und sagte ihr dabei, daß sie dies ja gut bewahren möchte; würde er bei seiner Zurückkunft nur ein Fleck daran finden, so würde ihm dies ein Zeichen sein, daß sie das verbotene Zimmer betreten habe und alsdann würde das Unglück unfehlbar über sie hereinbrechen. Die Frau gelobte nochmals, gehorsam zu sein, und so reifte der Ritter ab.

Doch kaum war der aus dem Gesichte der Frau verschwunden, so überkam sie eine solche Neugierde, daß sie sich nicht länger zu halten vermochte und sofort nach dem Orte des Verbots eilte. Als sie diesen erreichte, fand sie dort einen Schwan an einem seidenen Faden als Wächterangebunden, der sie nochmals warnte, das Zimmer zu betreten, denn es würde ihr das eigene Leben und Blut kosten, wenn sie die Schwelle überschritt. Aber die Neugierde hatte der Frau den Kopf verrückt, und bald stand sie, aber entsetzt und todtenbleich, in dem schauerlichen Gemach. Vor ihr stand ein großer Kessel mit Menschenblut und neben diesem eine Tafel, auf der die blutigen Köpfe der sämmtlichen Frauen des Ritters aufgestellt waren. In ihrer Angst hatte sie das goldene Ei fallen lassen. Sie raffte es auf und stürzte halbtodt nach ihrem Gemach, und hier erst bemerkte sie zu ihrem neuen Schrecken die blutigen Flecken an dem Ei. Alle Versuche, die Blutspuren wegzuwischen, waren vergebens. So sah sie mit Angst der Ankunft ihres Eheherrn entgegen.

Und der kam bald genug. Seine erste Frage war nach dem goldenen Ei, und als er die Blutspuren daran sah, gerieth er in furchtbare Wuth, faßte sein Gemahl an seinem schönen Haar, schleifte es nach jenem Schreckenszimmer, schlug ihm an dem Becken den Kopf ab, stellte den auf die Tafel zu den andern und ließ dann den Körper auf's Feierlichste beerdigen. Es dauerte aber nicht lange, so hatte er sich auch die zweite Schwester aus der Mühle geholt, und der ging es nicht besser als der ersten.

Nun kam die Reihe an die jüngste. Die war bei eben so großer Neugierde pfiffiger als die andern, band das goldene Ei in ihr feines Sacktüchlein und befestigte dieses wieder an ihrem Gürtel, bevor sie das verbotene Zimmer betrat. Ihr Schrecken war ebenso groß, als der der beiden Andern. Sie aber verlor die Besinnung nicht, griff nach den Köpfen der Schwestern, steckte diese in einen Sack und verbarg sie sorgfältig in dem Kasten ihrer prächtigen Kutsche, und als ihr Gemahl zurückkam und über das fleckenlose Ei große Freude äußerte und sie über die Maßen lobte, ließ sie sich nichts merken und bat ihn nun auch bei seiner Liebe, sie auf einem Besuch in der Mühle ihres Vaters zu begleiten. Der Ritter willigte sofort in ihr Begehr. Als sie nun dort angekommen, erzählte sie ihrem Vater heimlich Alles, was geschehen und zeigte ihm zum Wahrzeichen die beiden Köpfe ihrer Schwestern.

Der Müller gerieth in furchtbare Wuth und wagte den schrecklichen Kampf mit dem Ritter, der sich zuletzt mit genauer Noth auf sein Schloß flüchtete. Dort stürzte er sofort nach dem Schreckenszimmer, um nachzusehen, ob sein Gemahl auch wirklich die beiden Köpfe weggenommen. Hier aber stellte sich ihm der Schwan entgegen und der Ritter hatte nun einen Kampf mit diesem zu bestehen, in welchem der Schwan immer größer und stärker wurde, so daß der Ritter endlich unterlag. Da packte ihn der Schwan mit seinem Schnabel, schleifte ihn in das Zimmer und erstickte ihn in dem Blute seiner Frauen. Das Schloß aber wurde verflucht und verschwand vom Erdboden1).

Quellen:


1)
Vergl. das Märchen vom Ritter Blaubart