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Der Weisse zieht vorrüber

  Jamlitz

Zwischen Lieberose und Peitz dehnt sich eine Haide über ein weites Gebiet aus, in welcher oft des Nachts um die Mitternachtsstunde ein Sausen, Brausen und Donnern vernommen wird, so furchtbar, dass Menschen und Thiere vor dem wilden Sturm der entfesselten Elemente sich zu bergen suchen. Ist das jah aufsteigende Unwetter vorübergebraust so erblickt man eine weiße Wolke, welche langsam über den Himmel dahin zieht und dann entschwindet. Dann sagen die Leute: „Es ist der Weiße welcher vorübergezogen ist“ Der Weiße ist aber Niemand anders als der Wendenkönig; welcher sich wieder hat sehen lassen« Er zieht aber über die Haide dahin, weil in derselben einst seine Herrschaft ein Ende gefunden hat.

Es war nämlich ein grosser Krieg zwischen den Wenden und den Deutschen ausgebrochen und in der Schlacht, welche in der Haide tobte, erschlugen die Deutschen die tapfersten Wendenkrieger. Ein Verräther hatte den Deutschen die Stellungen des Feindlichen Heeres verrathen und so wurden denn die Wenden trotz aller Tapferkeit besiegt. Als nun der Wendenkönig sah, dass seine Krieger alle erschlagen waren, erhob er sich mit seinem Rosse in die Luft; die Tapfersten seiner Helden, welche todt auf dem Schlachtfelde lagen, erfasste neues Leben, sie erhoben sich und folgten ihrem König, welcher mit ihnen unter Donner und Blitz in die Wolken emporstieg und mit seiner Heldenschaar den Augen der entsetzten Deutschen entschwand.

Von Zeit zu Zeit zieht er noch immer unter Sturm, Donner und Blitz über die Wahlstatt dahin, und dann sagt der, welcher die Gewitterwolke sieht: „Es ist der Weiße.„

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880