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Die Burg auf dem Hügel Panuschka

  Jamlitz

Zwischen den Dörfern Jamlitz und Blasdorf erhebt sich in der Haide die Panuschka, ein Hügel, welcher die ganze Gegend beherrscht. Mit diesem Hügel hat es eine eigene Bewandtnis, ist doch in alten Zeiten auf demselben der eigentliche Sitz des Wendenkönigs gewesen. Der Gipfel des Hügels hat des Königs Schloss getragen, und von der Höhe des Schlosses hat eine rothe Lederbrücke nach dem Gipfel eines Berges bei Fehrow geführt. Niemand hat das Schloss zu sehen vermocht, denn blaue Flammen haben dasselbe stets umloht. Rings um den Hügel ist ein grosser See gewesen, welchen Niemand befahren durfte; wer das unternahm, der fand im Wasser seinen Tod.

In dieser von Flammen umlohten Burg lebte der König der Wenden, ihm waren die Geschicke aller Völker bekannt, so dass er seinen Wenden die weisesten Rathschläge zu geben vermochte. Auf dem Festlande liess er sich nur in den Zeiten der tiefsten Noth sehen und stand dann den bedrängten Wenden thatkräfiig zur Seite. Wenn er das Schloss verliess, so bestieg er einen rothen Kahn, um an das Festland zu gelangen.

Dann erhob sich der See und die Wellen stürmten wie rasend gegen sein Schifflein, allein mit einem rothen Stabe zertheilte er die Wogen und gelangte glücklich an das Ufer, wo die Wenden seiner harrten. Dann verwandelte der König sieh in einen blühenden Jüngling und trat so unter die Wenden, dem Stabe aber gab er die Gestalt eines Raben und der Rabe begleitete ihn überall hin.

Dem Wendenkönig war bekannt, dass das Wendenvolk untergehen würde, und dass mit diesem Untergange der Verlust seiner Herrschaft verknüpft sei. Da er an diesem Geschick nichts andern konnte, so beschloss er, das Verderben auch der Feinde herbeizuführen. Als nun eines Tages die Heere der Feinde und der Wenden kampfgerüstet einander gegenüberstanden, liess er ein furchtbares Unwetter aufsteigen. Die Wolken entluden sich, statt des Regens aber strömte Sand in solcher Fülle hernieder, dass in kurzer Zeit beide Heere verschüttet waren. Der Wendenkönig stürzte sich darauf in den See und verwandelte sich in einen weißen Karpfen, sein Schloss aber versank unter Donner und Blitz. Indess den Wendenkönig bedrohte auch so ein verderbliches Geschick. Der ungeheure See begann auszutrocknen, nur Reste davon, wie der Schwieloch-, der Schwan- und der Raduschsee nebst einigen kleinen Wasserstrichen und Bächen sind davon noch übrig geblieben.

In einem dieser Bäche, in der Bilaw hält sich der König in der Gestalt eines weißen Karpfen noch heute auf. Aber auch die Ufer dieses Baches wachsen immer mehr zusammen. Dann aber, wenn die Ufer im Begriff sind, sich zu schliessen, ist das Ende aller Leiden für die Wenden und ihren König gekommen. Dann nämlich wird der Wendenkönig aus der Bilaw wieder hervorkommen, seine frühere Gestalt annehmen, die noch lebenden Wenden um sich sammeln und ein Reich stiften, das die ganze Erde umfassen wird.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880