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Der Teufel holt den Wendenkönig

  Graustein

Nicht weit von Graustein erhebt sich der Luschky-Berg, auf dem man noch heute altes Gemäuer sieht. Das aber rührt von einem Schlosse her, in welchem Tor Zeiten der Wendenkönig seinen Aufenthalt gehabt hat Anfangs lebte der Wendenkönig hier glücklich unter seinem Volke im Kreise der Seinen, als aber die Deutschen das Land eroberten, fiel auch sein festes Schloss und er gerieth in die Hände der Feinde. Die Deutschen führten ihn in die Gefangenschaft und zwangen ihn, das Christenthum anzunehmen. So gut es der König auch sonst bei den Deutschen hatte, immer sehnte er sich nach den Seinen und seinem Volke zurück. Das wusste der Teufel und so begab er sich denn eines Tages zu ihm und versprach dem König, er wolle ihn zu den Seinen zurückbringen, wenn er ihm seine Seele verschreibe. Der gefangene König ging darauf ein und wirklich brachte ihn nun der Teufel in der Nacht in seine Heimath zurück, so dass er sich am folgenden Morgen in der Nahe seines Schlosses befand. Nun verlebte er wieder frohe Tage im Kreise der Seinen, bald aber bedrängte es ihn doch, dass seine Seele dem Teufel gehören solle; in seiner Noth begab er sich zu einem Einsiedler, um demselben seine Noth zu klagen. Der Einsiedler horte seinen Bericht an und sprach: „Nur wenn Du Dein ganzes Leben Gott weihst, kann Dir der Teufel nach Deinem Tode nichts anhaben.“

Der König beschloss, den Worten des Einsiedlers nachzukommen. Er baute eine Kirche und stiftete ein Kloster, in welches er selbst einzutreten gedachte. An dem Tage aber, an welchem er das Klostergelübde ablegen wollte, fand er ein schreckliches Ende. Kaum nämlich war er aus seinem Schlosse getreten, um in das Kloster zu gehen, so erhob sich ein furchtbares Ungewitter, unter Blitzen und Donnern kam der Teufel herangesaust, ergriff ihn und verschwand mit dem König in den Wolken. Kaum war dies geschehen, so hörte man einen furchtbaren Krach und in demselben Augenblicke schlug ein ungeheurer, glühender Felsblock schmetternd neben der Kirche in die Erde ein. Die Erde begann zu rauchen, und die Gebäude in der Nähe, das Kloster und das Schloss des Wendenkönigs, brannten nieder, nur die Kirche blieb erhalten, der Block aber sank immer tiefer in die Erde, bis er allmählich verkühlte, dann blieb er ruhig liegen.

Die Eindrücke von der Hand des Teufels sieht man noch heute an ihm. Von dem Wendenkönig hat man nichts wieder gehört. Seine Nachkommen sind erst vor kurzer Zeit in dem Dorfe Graustein, welches von dem grauen Teufelsstein seinen Namen hat, ausgestorben und der letzte von ihnen, der Schulze des Ortes, hat diesen Bericht, welcher in seiner Familie sich fortgepflanzt hat, selbst erzählt.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880