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Der versuchte Knabenraub zu Drehnow

  Briesen

Der Wendenkönig fuhr einmal von Peitz nach Burg in einem Kahne die Malxe herab. Als er in die Gegend von Drehnow kam, sah er auf der Wiese einen Knaben spielen, welcher ihm, weil er so schön war, sehr gefiel. Er selbst hatte keine Kinder und es schmerzte ihm, dass es nach seinem Tode mit dem Wendenkönigsthum zu Ende sein sollte, deshalb beschloss er, den Knaben zu rauben und an Kindes statt anzunehmen, damit sein Volk auch später einen König habe. Es gelang seinem Diener, sich des Knaben zu bemächtigen. Der König, welcher im Kahn geblieben war, nahm das geraubte Kind in Empfang und steckte es in einen Sack, damit Niemand seinen Raub sähe.

Indess ein Knabe, welcher auf einen Baum geklettert war, um ein Elsternest auszunehmen, hatte den ganzen Vorgang gesehen. Schnell stieg er, als der Kahn in der Feme verschwunden war, von dem Baume hernieder und verkündete dem Vater des geraubten Knaben, was er gesehen. Dieser folgte in seinem Kahne dem Wendenkönig und es gelang ihm auch, seinen Knaben, da der König und seine Mannen Rast gemacht und in Schlaf gesunken waren, wieder zu rauben. So ist es denn gekommen, dass nach dem Tode des Königs die Wenden keinen Herrscher mehr gehabt haben, in Folge dessen aber sind sie von den Deutschen besiegt worden.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880