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Der gestohlene Siegelring

  Guhrow

In alten Zeiten stand auf dem Schlossberge in Burg das Schloss des Wendenkönigs, in welchem dieser mit seiner Gemahlin lebte. Die Königin hatte einmal ihren Siegelring vom Finger abgestreift und auf das Fensterbrett gelegt. Es war aber von ihr nicht beachtet worden, dass das Fenster offen stand. Da geschah es, dass der Drache, welcher sich auf dem Schlosshofe aufhielt, den Ring erspähte und verschlang.

Als die Königin ihren Ring vermisste, fiel der Verdacht, denselben entwendet zu haben, auf einen ihrer ältesten und treuesten Diener, weil dieser die Arbeiten in ihrem Zimmer vorzunehmen hatte, und obgleich er seine Unschuld betheuerte, ward er doch aus dem Schlosse vertrieben, so dass er in Noth und Elend gerieth.

Nach Jahr und Tag aber wurde der Drache von einem Förster erlegt und da fand sich denn, als der Förster denselben zerlegte, ein Ring im Magen des Thieres. An dem Wappen, welches auf dem Ringe war, ersah er, dass es der Ring der Königin sei. Er überbrachte ihn also derselben und nun sah die Königin, dass sie ihrem alten Diener Unrecht zugefügt hatte; sie liess ihn sogleich aufsuchen und setzte ihn wieder in seinen Dienst ein.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880