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Der hässliche Vogel aus der Schachtel

  Vetschau

In Werben diente einmal bei einem Bauer ein Knecht. Der Knecht war einst mit andern jungen Burschen in lustiger Gesellschaft. Als sie dort tranken und sich unterhielten, sagte einer aus dem frohen Kreise zu ihm: „Ich werde Dir eine schöne Schachtel schenken, Du darfst dieselbe aber erst in Deiner Wohnung öffnen.“ Der Knecht nahm die Schachtel, hatte aber von dem Augenblicke an keine Ruhe mehr, sondern ging nach Hause. Als er dort die Schachtel öffnete, bemerkte er darin einen gar hässlichen Vogel. Darüber erschrak er sehr, denn es ahndete ihm gleich, dass der Vogel nichts Gutes sei. Gern wollte er die Schachtel wieder los sein, aber das ging nicht. So oft er sie von sich warf, im nächsten Augenblick hatte er sie wieder in der Tasche. Er fragte überall um Rath, was er thun sollte. Niemand konnte ihm rathen. Zuletzt sagte ihm Jemand, er möge die Schachtel Nachts in der zwölften Stande auf einen Kreuzweg tragen, er dürfe sich aber auf diesem Gange nicht umsehen, dann werde er die Schachtel los werden. Das that er. Nachts in der zwölften Stunde ging er nach einem Kreuzweg, warf dort die Schachtel von sich und lief heimwärts, so schnell er konnte. Hinter sich hörte er ein Getrampel mit Getöse, das war schrecklich. Er aber sah sich nicht am. Glücklich kam er in seinem Hof an und lief schnell die Treppe hinauf. In dem Augenblick schlug es zwölf. Jetzt griff er in die Tasche: siehe, die unheilvolle Schachtel war nicht mehr darin.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880