Über die Strafe Wilhelms II. von Jülich

Graf Wilhelm von Jülich war auf seinem Schloss Nideggen (Nithiecke) schwer krank geworden, begab sich aber dennoch um einer Unbilde willen nach Köln. Auf dem Heimwege verließen ihn die Kräfte, und er stöhnte: „Ach, ich werde die Stadt Köln niemals wiedersehen!“ Man legte ihn auf den Boden; der Arzt erklärte, der Tod stehe vor der Tür, und fügte dann hinzu: „lch rate euch, dass ihr euer Weib wieder in Gnaden aufnehmtl” Als der Graf mit Nein antwortete, bat der Arzt, er möge einen eingekerkerten Ritter los geben. „Niemals“, erfolgte die Antwort, „niemals wird er, so lange ich am Leben bin, aus seinem Gefängnisse herauskommen.” - „Er wird es noch am morgigen Tage verlassen“, entgegnete der Arzt; und so ist es auch geschehen.

Während der Todesstunde lag der Graf im Schoß einer Frau, welche er ihrem Manne geraubt hatte. Als diese ihn fragte: „Herr, was soll aus mir werden, wenn ihr gestorben seid?” sagte er: „Du musst einen jungen Ritter nehmen.“ Das waren seine letzten Worte.

In derselben Nacht, wie mir ein Abt unseres Klosters erzählt hat, wurde eine Nonne von St. Mauritius in Köln an den Ort der Straßen entrückt und sah dort einen schauderhaften Brunnen ganz in Schwefelflammen eingehüllt und mit feurigem Deckel versehen. Als sie ihren Führer hierüber befragte, sagte dieser: „Es befinden sich darunter nur zwei Seelen, die des Kaisers Maxentius1) und die des Grafen von Jülich.”

Morgens erzählte die Nonne diese Vision, und als an diesem Tage die Kunde von dem Ableben des Grafen nach Köln gedrungen, erkannte sie, dass es eine wahre Erscheinung gewesen sei. Dass er aber nach so vielen Jahren und nachdem inzwischen so viele Tyrannen gestorben, gerade mit dem Kaiser Maxentius an denselben Strafort gekommen ist, geschah wegen der Ähnlichkeit ihrer Schuld, denn es ist nicht mehr wie recht, dass diejenigen, welche Gleiches verschuldet haben, auch gleiche Strafe erhalten.

Beider Leben kenne ich, das des Maxentius aus Büchem, das des Grafen Wilhelm durch die Aussagen vieler Personen. Beide waren Tyrannen, beide ausschweifend über alles Maß. Wie man in den Chroniken liest, gab es in und um Rom keine so edle, so reine Frau, die Maxentius nicht, sobald sein Auge Wohlgefallen an ihr gefunden, ihrem Gatten wegnahm und schändlich beleidigte. Ähnlich trieb er es mit Witwen und Jungfrauen. Die Männer sahen und seufzten, die Eltern schwiegen; und so weit ging seine Grausamkeit, dass die Unglücklichen, wenn ihr Herz auch mit tiefster Trauer erfüllt war, ihr Herzeleid verheimlichen mussten; soweit ging seine Tyrannei, dass er Senatoren, Bürger, Krieger ohne Unterschied töten ließ, wemi nur der geringste Verdacht auf sie gefallen war.

Ganz ähnlich verfuhr Graf Wilhelm, wenn auch nicht mit gleicher Macht, so doch mit gleichem Wollen. Wie ich gehört habe, ist er so jeder Ausschweifung ergeben gewesen, dass er kaum einen Dienstmann gehabt hat, dessen Weib oder Tochter er nicht schmachvoll behandelt hat. Wie grausam er gegen seine Untertanen und Nachbam gewesen ist, davon weiß das ganze Bistum Köln zu erzählen.

Maxentius hat seine eigene Gattin ermordet, Graf Wilhelm die seinige eingekerkeıt. Jener hat die Kirche verfolgt, indem er viele wegen ihres Glaubens tötete; dieser hat während des Zwiespalts im römischen Reich die dem heiligen Stuhl Gehorsamen verfolgt, Priester von ihren Sitzen vertrieben, andere verstümmelt und die Güter der Kirche beraubt. Die geschah zu Zeiten des Papstes Innocenz III.

Im verflossenen Jahre erzählte mir ein Stiftsherr aus Aachen folgende entsetzliche Vision über diesen Grafen Wilhelm: Nach seinem Tod, so lautet die Mitteilung dieses Stiftsherren, ist er einer Eingeschlossenen, welcher er einige Wohltaten erwiesen, mit blassgel- bem, eingefallenem Gesicht erschienen und hat zu ihr gesprochen: „Ich bin jener Wilhelm, der einst Graf von Jülich gewesen ist.“ Als sie gefragt, wie es ihm ergehe, hat er erwideıt: „Ich brenne ganz und gar!“ und als er sein elendes Gewand in die Höhe gehoben, ist die Flamme darunter herausgeschlagen, worauf er mit einem Schmerzensschrei verschwunden ist.

Als dieser Graf noch am Leben war, hat ihm Gott, welcher die Güte und Barmherzigkeit selbst ist, einen Blick in seine Herrlichkeit gewährt, um ihn von seinen Sünden abzubringen. An einem Weihnachtstage ließ er ihn im Kanon der ersten Messe süße Stimmen mit den süßesten, wie aus dem Himmel stammenden Weisen vernehmen. Als sich der Graf bei Herrn Engelbert, dem damaligen Dompropst und nunmehrigen Erzbischof von Köln, erkundigte, ob er auch diese himmlische Musik vernommen, und Herr Engelbert mit Nein antwortete, wuchs des Grafen Erstaunen.

Im Kanon (stilles Gebet) der zweiten und dritten Messe hörte er dieselben Töne, die lauteten, als ob sie von verschiedenen jüngeren und älteren Stimmen herührten. Als dies dem Abt von Marienstadt erzählt wurde, suchte er den Grafen auf und hörte den Vorfall aus dessen eigenem Munde. Der Graf rief Gott als Zeugen an, dass er nicht lüge, wobei er den Schwur tat, sollte er noch einmal gewürdigt werden, einen solchen Gesang zu vermehmen, wolle er sein bisheriges sündhaftes Leben aufgeben.

Aber diese Mahnung vom Himmel hat nicht lange nachgewirkt, indem seine vielen Sünden und Verbrechen ihm zu sehr im Wege standen. Zur Strafe für seine Freveltaten treibt sich der Hüne auch nach seinem Tode ruhelos umher, in Sturmnächten jagt es ihn durch die Wälder um Nideggen, er rüttelt und reißt an den Mauem seines alten Schlosses und wütet an Bäumen und Häusern. So ist er zum ungeheuren Sturmriesen geworden, Felsblöcke schleudernd und Eichbäume knickend. In solchen Sturmnächten gesellt sich auch wohl die wilde Jagd zu ihm als ihrem Anführer, es sind die verdammten Seelen der ehemaligen frevelhaften Schlossbewohner. Mit schrecklichem Getöse braust die wilde Jagd dann durch das Rurtal.

Oft auch fährt die wilde Jagd vorbei, wenn es niemand ahnen soll. Eines Abends saß der Besitzer des Hetzinger Hofes mit seinem jungen Weibe und seinem Gesinde munter plaudemd in den unteren Räumen seines Wohnhauses. Plötzlich nahte unter wüstem Lärm vom oberen Rurtal her die wilde Jagd. Sie kam näher, umtobte das ganze Haus und kehrte durch ein offenes Fenster im oberen Stockwerk ein. Den Leuten stockte vor Angst der Atem, alles saß leichenblass da, denn man hörte oben ächzen und wimmem, toben und wüten, zuletzt ein Krachen und Bersten, wie wenn das ganze Dach abgetragen würde. Dann wurde es plötzlich still, das Geisterheer zog weiter.

Als sich die Leute im Hause von ihrem Schrecken erholt hatten, ging der Hausherr hinauf, um sich die Verwüstungen anzusehen. Zu seiner großen Verwunderung war alles heil, als wenn nichts vorgefallen wäre.

Kurze Zeit darauf kamen die Franzosen ins Land. Ein Hauptmann hatte in dem Hofe sein Quartier. An einem Abende war die Familie und der Hauptmann in der Stube versammelt. Die Unterhaltung wurde auf einmal durch das Nahen der wilden Jagd unterbrochen. Der Hausherr, außer sich vor Schrecken, erklärte dem Hauptmanne, in der wilden Jagd ziehe der Teufel mit den verdammten Geistem durch die Luft. Doch dieser tröstete ihn und sprach: „Seid unbesorgt! Ich will dem Geísterspuk ein für alle Mal ein Ende machen.“ Damit ergriff er sein Gewehr und sprach: „Meine Waffe ist benedízíert“ (gesegnet). Er schoss in das wilde Toben, und sogleich war alles verstummt.

Seit der Zeit hörte man nie mehr etwas von der wilden Jagd, und darum hieß es im Volke, die Franzosen haben sie vertrieben.

Quelle: Heinrich Hoffmann: „Von Römern, Rittern und ruschigen Juffern“ Zur Volkskunde des Jülicher Landes, Sagen aus dem Rurgebiet


1)
Marcus Aurelius Valerius Maxentius (* um 278; † 28. Oktober 312) war als Usurpator römischer Kaiser. Der Sohn des Kaisers Maximian ließ sich am 28. Oktober 306 in Rom zum Kaiser ausrufen und herrschte bis zum 28. Oktober 312 über Italien und Nordafrika, zeitweise auch über Spanien. Vom ranghöchsten Augustus Galerius wurde er nicht als Kaiser anerkannt und führte daher einen permanenten Bürgerkrieg. Zugleich kümmerte er sich intensiv um Italien, seine Machtbasis, und ließ in der Stadt Rom, seiner Residenz, große Bauten errichten. Er starb in der Schlacht an der Milvischen Brücke im Kampf gegen Konstantin den Großen. Quelle: Wikipedia