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Ein toter Gutsherr kehrt zurück

  bei Cottbus

Ein Gutsherr, welcher auf einem Dorfe nicht weit von Cottbus lebte, war in hohem Alter gestorben und nach drei Tagen begraben worden. Unter seinen früheren Knechten war einer, welcher mehr konnte, als Brod essen. Er fragte seine Mitknechte, ob sie den Herrn noch einmal sehen wollten. Die Knechte lachten und sagten, das könne er nicht bewirken. Aber der betreffende Knecht lud Alle in seine Stube ein, nahm einen Charakter hervor und las darin bis die Mitternachtsstunde schlug. Als sich der erste Glockenschlag vernehmen liess, sprangen alle Thüren des Hauses auf: der alte Gutsherr trat im weißen Sterbehemde in das Zimmer ein. Die andern Knechte eilten voller Schrecken aus der Stube, nur derjenige, welcher den Todten herangelesen hatte, blieb. Da sprach der alte Gutsherr mit furchtbarer Stimme zu ihm: „Warum holst Du mich aus meinem Grabe?“ Darauf verschwand er.

Der Todte ist neun Mal, immer um die Mitternachtsstunde, dem Knechte erschienen. Was in der zehnten Nacht geschehen ist, weiß man nicht. Am andern Morgen fand man den Knecht mit gebrochenem Genick todt in seiner Stube.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880