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Gevatter Tod (Spreewald)

  Papitz

In Burg war einst ein Mann, der hatte vierundzwanzig Kinder, jedes Kind aber hatte soviel Pathen als es das so und so vielste Kind war. Als die Eltern das vierundzwanzigste Kind wollten taufen lassen, ging der Vater, wie gewöhnlich, die Pathen bitten. Als er dreiundzwanzig gebeten hatte, wusste er Niemand mehr, an den er sich hätte wenden können. Traurig ging er umher. Da traf er ein Männchen, das fragte ihn, warum er so traurig sei. Er erzählte ihm, dass er den vierundzwanzigsten Gevatter suche, aber denselben nicht finden könne. „Wenn es weiter nichts ist,“ sagte das Männchen, „so will ich der vierundzwanzigste Gevatter sein. Das soll überdies Dein Glück sein.“ Am Tage der Taufe waren die Pathen versammelt; endlich kam auch das Männchen. Es band nichts ein, wie die übrigen Gevattern, sondern sagte dem Vater nur heimlich: „Du sollst von nun ein Arzt sein; ich werde Dir helfen. Kommst Du zu einem Kranken und ich stehe an seinem Haupte, dann wird er sterben, stehe ich aber zu seinen Füssen, so wird er genesen.“

Wie es das Männchen gesagt hatte, so geschah es fortan. Der Mann wurde ein Arzt. Nach einigen Monaten war er ein berühmter Mann, denn es traf bei dem Kranken jedes Mal ein, was er sagte. Von Nah und Fern kam Alles zu ihm, so dass er sehr reich wurde.

Einstmals war ein Freund des Arztes erkrankt, welcher sehr reich war. Diesem wollte er gerne helfen, einmal, weil er sein Freund war, dann auch, weil er eine reiche Belohnung erwarten durfte. Als er aber zu dem Kranken in das Zimmer trat, stand das Männchen am Kopfende des Kranken. Der Kranke musste also sterben. Da liess der Arzt das Bett umstellen. So stand das Männchen am Fassende und der Kranke wurde gesund.

Nach einigen Tagen kam das Männchen zum Arzte und sagte ihm: „Komm mit mir, ich will Dir etwas zeigen.“ Der Arzt folgte ihm. Beide kamen in einen grossen Saal. In dem Saal brannten viel tausend Lichte, einige waren lang, andere aber kurz. Der Arzt fragte: „Was sind das für Lichte?“ Das Männchen antwortete: „Siehe, das sind die Menschenleben. Das Licht von manchem Menschen ist lang: der Mensch, welchem das Licht gehört, wird noch lange leben; das von manchem aber ist kurz: der, welchem das gehört, stirbt bald.“ Indem kamen sie zu einem Lichte, das war fast niedergebrannt, es flackerte nur noch und wollte eben erlöschen. „Wessen ist dieses Licht?“ fragte der Arzt. „Das ist das Deinige“ antwortete das Männchen, „hättest Du mich letzthin nicht betrogen, so könntest Du noch lange leben, aber nun musst Du sterben.“ Indem erlosch das Licht. Der Arzt sank um und war todt. Sein Gevatter war der Tod gewesen.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880