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Ein Vogel als Glaser

  Sielow

Als die Wenden zuerst in diese Gegend gekommen sind, waren sie noch ein wenig dumm: deshalb ist ihnen mancherlei begegnet, was nicht in der Ordnung war. So beschlossen sie einst, eine Kirche zu bauen. Sie brachten auch den Bau fertig bis auf die Fenster; die hatten sie vergessen. Zufällig hatten sie oben im Dache eine Oeffnung gelassen. Nun geschah es, dass ein Vogel, als sie in der Kirche waren, durch die Oeffnung hereingeflogen kam; da riefen sie in ihrer Freude: „Das ist der Glaser, der wird uns Fenster machen.“

Der Vogel flog wieder aus der Dachöffnung hinaus; die Wenden aber beschlossen, ihm zu folgen. Das geschah. Da sahen sie denn, wie er im Walde sich auf einen Baum setzte und dann in ein Loch desselben schlüpfte. Nun wollten sie durchaus ihren Glaser haben und so blieb ihnen nichts weiter übrig, als denselben zu holen.

Deshalb, da sie noch keine Leiter kannten, stellte sich einer von ihnen auf den andern, bis der oberste in das Loch sehen konnte. Der aber sah so tief in das Loch hinein, dass er mit dem Kopfe nicht wieder heraus konnte. So kamen sie nicht nur zu keinem Glaser, sondern der Wende selbst blieb oben in dem Loch des Baumes stecken, wo er umgekommen ist.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880