<<< vorherige Sage | XXXV. Schatzsagen | nächste Sage >>>

Die ruhelose Frau vom Straupitzer Schlosse

  Straupitz

In dem Schlosse zu Straupitz erschien vor vielen Jahren jede Nacht um die zwölfte Stunde in der Gesindestube ein Gespenst in Gestalt einer Frau. Deshalb beeilte sich Alles, um diese Zeit nicht mehr in der Stube zu sein. Eines Tages kam ein Handwerksbursche in das Dorf. Als dieser horte, dass in die Gesindestube auf dem Schlosse allnächtlich ein Gespenst komme, bat er um die Erlaubniss, in der Stube übernachten zu dürfen. Erst wollte man ihm die Erlaubniss nicht geben, allein schliesslich gestattete man ihm, die Nacht in der betreffenden Stube zu bleiben. Der Bursch machte sich in derselben ein Lager zurecht. Als es zwölf Uhr war, erschien auch richtig die Frau. Der Handwerksbursche rief ihr zu: „Alle guten Geister loben Gott den Herrn!“ Die Frau wiederholte das Wort.

Dann trat sie an den Handwerksburschen heran und erzählte ihm, sie habe früher einen Schatz vergraben. Nun lasse es ihr keine Ruhe im Grabe, der Schatz müsse zu Tage gefördert werden. Er habe sie zuerst angeredet, dafür wolle sie ihm bei dem Ausgraben des Schatzes behülflich sein; er solle ihr nur folgen. Der Handwerksbursche folgte ihr. Die Frau führte ihn in den Lustgarten. Als er an der Stelle grub, welche ihm die Frau bezeichnet hatte, stiess er bald auf den Schatz. Die Frau half ihm denselben heben, ja sie half den Schatz bis über die Schwelle des Zimmers tragen, dann verschwand sie. Fortan zeigte sie sich nicht mehr. Der Handwerksbursche aber hatte zeitlebens Geld in Hülle und Fülle.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880