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Der Schatz beim Strauch mit den grauen Blättern

  bei Drebkau

In einem Dorfe bei Drebkau lebte einmal ein arme Frau mit ihrer Tochter. Die Tochter stand in dem Alter, dass sie confirmirt werden sollte. Als die Zeit nahete, sah die Frau, welche sehr arm war, zu ihrem Schrecken, dass sie ihrer Tochter das Confirmandenzeug nicht beschaffen konnte.

Da kam eines Nachts ein Männchen an das Bett der Tochter und forderte sie auf, ihm zu folgen. In der einen Hand hatte das Männchen eine Laterne, in der andern zwei kleine Stäbchen, an welchen kleine Schippen befestigt waren. Das Männchen sagte, wenn das Mädchen ihm folge, so werde es einen Schatz heben; der Noth ihrer Matter wäre damit ein Ende gemacht. Es erzählte dem Mädchen auch, der Schatz liege unter einem Strauch, welcher graue Blätter habe: die Erde sei an der betreffenden Stelle etwas eingesunken.

Das Mädchen folgte dem Männchen aber nicht, als dasselbe fortging, denn es fürchtete sich sehr. In der folgenden Nacht kam das Männchen wieder, allein das Mädchen folgte ihm wieder nicht. In der dritten Nacht stand das Männchen wieder am Bette des Mädchens, diesmal weinte und bat es dringend, das Mädchen solle ihm folgen, sonst werde es nicht erlöst werden, allein vergeblich. Endlich ging das Männchen weinend davon und sagte, nun sei es um seine Erlösung geschehen.

Am folgenden Morgen erzählte das Mädchen seiner Mutter Alles, was es erlebt hatte. Die Mutter schalt ihre Tochter heftig, dass sie dem Männchen nicht gefolgt sei. Sie ging mit derselben sogleich zu der Stelle, welche das Männchen bezeichnet hatte. Bald war der Strauch mit grauen Blättern gefunden. Aber schon war die Erde rings herum so tief eingesunken, dass alles Nachgraben keinen Schatz mehr zu Tage forderte.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880