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Der Wunderring im Hause derer von Alvensleben

Es hat sich vor vielen, vielen Jahren, bei dem löblichen adlichen Geschlechte derer von Alvensleben, auf dem Hause Kalbe an der Milde, in der Mark Brandenburg, begeben, daß des damals lebenden Junker von Alvensleben Hausfrau, bei nachtschlafender Zeit, als das Haus verschlossen, von einer Magd, so eine Laterne in der Hand getragen, aufgewecket, mit vielen guten Worten, einer Frau in Kindesnöthen zu Hülfe zu kommen, gebeten, auch endlich dazu bewogen, jedoch zuvor vermahnet worden, wenn sie in das Haus käme, daß sie weder Essen noch Trinken, noch auch dasjenige, was man ihr anbieten würde, annehmen sollte.

Als sie nun der Kindbetterin Hülfe erzeiget, ist sie unbeleidigt wiederum auf das Haus geführt worden. Ueber eine Zeit hernach, kommt dieselbe Magd zu Mitternacht mit einer Laterne wieder, trägt zwei Schüsseln über einander gestülpet, wünscht der Frauen von Alvensleben von ihrem Herren viel Gutes und spricht ferner: »Ihr Herr verehre sie hiermit mit einem Kleinode, nehmlich einem köstlichen, goldenen Ringe, zur Danksagung für erzeigten Dienst, den solle sie wohl bewahren. Denn so lange derselbige Ring ganz und unzertheilt auf dem Hause Kalbe und bei dem Geschlechte von Alvensleben bleiben würde, solle es floriren und Glück und Wohlfahrt haben. Werde aber der Ring von Handen kommen oder zertheilt werden, so werde es auch demselben Geschlechte unglücklich und nicht wohl ergehen;« und ist damit verschwunden. Was geschieht?

Als hernach zween Brüder die Erbtheilung fürnehmen, mußte dieser Ring auch getheilt werden, aber desjenigen Linie, so die Theilung am heftigsten begehret, ist aus und abgegangen. Der andere Theil des Ringes aber soll heutiges Tages (im Jahre 1599) auf dem Hause Kalbe in der Kapelle verwahret werden.

Quelle: Johann Gustav Gottlieb Büsching: Volkssagen, Märchen und Legenden, Leipzig, Reclam, 1812,