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Rechenberg's Knecht

Der fromme, freundliche Kinderglaube unserer Vorfahren stattete das Haus des Frommen gar zu gern mit guten Engeln aus, so wie er zur Pein und Strafe des Bösen immer eine Schaar Teufel und Unholde bei der Hand hatte. Wir haben auf beides Verzicht gethan und müssen uns mit gewöhnlichen Menschen behelfen, die freilich manchmal Engels oder Teufels Natur erreichen können.

Hans von Rechenberg von Windisch-Bohra, Freiherr zu Schlana und Wartenberg, und Herr zu Freistadt, wo er auch begraben liegt, war ein großer Kriegesheld und dabei ein eben so gelehrter, als ächt frommer Mann, welches letztere auch sein Briefwechsel mit Doctor Luther beweis't. Um die Zeit, als Matthias in Ungarn wider die Türken stritt, fand sich bei ihm ein gemein gekleideter Mensch ein, der sich erboth, ihm als Knecht zu dienen. Rechenberg nahm ihn an und behandelte ihn mild und freundlich, dagegen denn auch der Knecht seine Schuldigkeit gern und willig that.

Eines Tages gab ihm Rechenberg ein wichtiges Schreiben an einen Fürsten, etliche Meilen weit zu bestellen. Der Knecht machte Anstalten abzureiten; aber als Rechenberg nach Verlauf einer kleinen Stunde in den Stall kam, fand er ihn unter den Pferden auf dem Stroh schlafend. Erschrocken und unwillig weckte er ihn auf und fragte nach der Bestellung. Der Knecht griff bestürzt in den Busen und brachte einen Brief heraus, mit den Worten: »hier ist die Antwort.« Rechenberg erbrach ihn und fand, was er wünschte; aber es war ihm unerklärlich, wie der Knecht in so kurzer Zeit das Geschäft ausgerichtet haben könnte.

Nicht lange darauf rückten Feinde in die Nachbarschaft. Rechenberg war alles daran gelegen, ihre Zahl und Stellung zu erkunden, aber es fand sich niemand, der es wagen wollte, sie zu besichtigen, als sein treuer Knecht. Dieser ritt getrost fort und kam in kurzem mit der tröstlichsten Nachricht wieder. Da seine Taschen so vollgestopft aussahen und klirrten, fragte der Herr: was er darin habe? und siehe da, der schlaue Knecht hatte allen Pferden der Feinde die halben Hufeisen weggerissen, und die Feinde dadurch gehindert, ihm nachzukommen.

Diese und ähnliche Streiche machten, daß Rechenberg immer aufmerksamer auf diesen Knecht ward, und als er ihn eines Tages vornahm und nach seiner Herkunft und Absicht fragte, erhob sich dieser sonst gemeine Mensch mit einer überraschenden Größe und Feierlichkeit, und sprach: »Herr, der Herr aller Herren hat euch zeigen wollen, wie sehr es ihm wohlgefällt, wenn die Herren auf Erden ihre Diener und Knechte so gütig und recht behandeln, wie ihr an mir und andern gethan habt.« Und mit diesen Worten verschwand er.

Seitdem sagt man, wenn jemanden etwas Liebes und Gutes von unbekannter Hand geschehen war: »das hat Rechenberg's Knecht gethan.«

Quelle: Johann Gustav Gottlieb Büsching: Volkssagen, Märchen und Legenden, Leipzig, Reclam, 1812,