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Wie aus dem Görlitzer Schuster Jakob Böhme ein berühmter Prophet geworden

  I. Büschings Volkssagen I. 178. Frankenberg im Leben J. B., Amsterd. 1715 S. 3. 
  N. L. " 1838, S. 383. Sammlung von Schön Msc. No. 30. 
  Gräve S. 29. Preuskers Blicke 2c. Il. S. 100. mündlich.
  II. u. III. Akten der Naturforsch. Gesellsch. zu º Ä für Alterth. No. 93. Fol. 71. Msc. Schäfer's geneal.

Es haben sich die Gelehrten in ihren Büchern und Schriften gestritten und die Köpfe zerbrochen, wie aus einem armen Hirtenknaben und einfältigen Schuster Jakob Böhme zu Görlitz hat ein so erleuchteter Weiser, weltberühmter Scribent und schier prophetischer Gottesmann werden können. Haben's alle nicht ergründet, aber das einfältige Volk in Görlitz und Umgegend, das seine Schriften nie gelesen, weiß dennoch wohl, wie es zugegangen, und erzählt es weiter von Kind zu Kindeskind.

I. Zum Ersten: Als Jakob Böhme noch ein kleiner Knabe war und das Vieh hütete, kam er auch eines Tages mit seinen Kühen auf die Landeskrone, wo der große Schatz begraben liegt. Es war um die Mittagsstunde und Jakob ging ganz in Gedanken am Berge hin. Da öffnete sich plötzlich vor ihm der Berg und er sah ein Thor von schönem rothen Gemäuer und aus dem dunklen Gewölbe funkelte es ihm entgegen wie lauter Gold und Silber. Er erschrak aber so sehr darüber, daß er eiligst zurückging, ohne die Herrlichkeiten zu berühren. Als er nachmals mit andern Knaben den Berg erstieg, konnte er den Eingang nimmer finden. – Das ist das erste Zeichen gewesen, welches bedeutet seinen geistlichen Eingang in die verborgene Schatzkammer der göttlichen und natürlichen Geheimnisse.

II. Zum andern: Als ihn sein Vater bei einem Schuhmacher in Seidenberg in die Lehre gegeben hatte, ist eines Tages ein fremder und ihm ganz unbekannter, auch schlicht gekleideter, doch feiner und ehrbarer Mann vor den Laden gekommen, darinnen Jakob in des Meisters Abwesenheit mutterseelen allein gesessen hat. Dieser Fremde hat ein Paar Schuhe zu kaufen begehrt. Der Lehrling hat sich aber nicht getraut, den Handel für sich allein einzugehen, und als der Fremde dringlich geworden, hat er, um ihn abzuschrecken, einen übermäßigen Preis verlangt. Aber der Fremde giebt ihm ruhig und ohne Widerrede das Geld, nimmt die Schuhe und geht fort.

Aber nicht weit vom Laden steht er still und ruft mit lauter und ernster Stimme: Jakob, komm' heraus! Jakob erschrickt, wie ihn der Fremde bei seinem Taufnamen nennet, steht aber auf und geht zu ihm auf die Gasse. Ernst aber freundlich und mit lichtfunkelnden Augen schaut ihm der Mann ins Angesicht, fasset ihn bei der rechten Hand, sieht ihm stark in die Augen und spricht zu ihm: Jakob, Du bist klein, aber Du wirst ein großer Mann werden und wird eine völlige Veränderung mit Dir vorgehen, daß sich die Welt über Dich verwundern wird. Du wirst viel Noth, Armuth und Verfolgung leiden, aber sei getrost und fürchte Dich nicht, fürchte aber Gott und ehre sein Wort und bleibe beständig in allen Dingen, denn Du bist Gott lieb und er ist Dir gnädig. Darauf hat ihm der Mann die Hand gedrückt, wiederum stark in die Augen gesehen und ist seines Weges fürbaß gegangen. Jakob aber hat seine Worte wohl in Acht genommen, der Weissagung geglaubet in aller Einfalt und Demuth und das Bild des Fremden nimmer aus seinem Gedächtniß verloren.

III. Zum Dritten: Im Jahre 1600, im fünfundzwanzigsten Jahre seines Alters, als Jakob schon mehr mit geistlichen Dingen, denn mit Handwerksgeschäften, sich befasset und immer fein fleißig in der Schrift geforschet, da ist er eines Tages beim jähligen Anblick eines zinnernen Gefäßes, darein er sich mit seinen Augen versenket, vom göttlichen Lichte ergriffen worden, also daß der lieblich jovialische Schein ihm in sein Inneres gedrungen und ihn blicken gelassen bis zu dem innersten Grunde oder Centro der geheimen Natur.

Aber Jakob hat es für eine Phantasie gehalten und hat sich's wollen aus dem Gemüth schlagen, geht zum Hause hinaus auf die Gassen und in's freie Feld über die grünen Wiesen vor'm Neißthore zu Görlitz. Aber das Gesicht ist nicht von ihm gewichen, und hat's je länger, je mehr klarer empfunden, und wo er hingeschaut, da hat er Thieren und Bäumen, Gräsern und Steinen so recht in ihr innerstes Herz und Wesen zu schauen vermocht, also daß ihm von Stund an die ganze Welt verändert worden und die Natur gewesen ist wie ein geheimnißvolles, doch verständliches Buch, darinnen er allein hat lesen dürfen. – Und also ward der Schuster ein Prophet.

Anmerkungen: Bekanntlich weissagte Joseph, als er in den silbernen Becher blickte. (1. Moses 44,5) Philosophie der Geschichte III. S. 317. und No. 232. der Zaubersagen.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862