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Blutende Leiche verräth einen Mörder

  Annalen der Stadt Budissin von 958–1664. 
  Handschr. a. d. Kgl. Bibliothek zu Dresden No. 27. Grässe S. 462.

Im Jahre 1500 hat sich in Budissin eine greuliche Mordthat begeben. Es war damals an der Schule daselbst ein Kantor, Namens Jakob Tham, der hat auf der Reichengasse an der Ecke des Marktes gewohnt. Bei dem hat seine Schwiegermutter gelebt, ein altes böses Weib, die fast täglich gezankt und verlangt hat, der Kantor sollte ihr das Haus, in dem er wohnte und das der alten Frau gehörte, bezahlen. Da hat ihn einmal der böse Feind verführt Und ihm mit Versuchungen also zugesetzt, daß er am Tage visitationis Mariae eine Axt genommen, der bösen Schwiegermutter das Genick eingeschlagen und den Leichnam in den Würztrog geworfen hat, als wenn sie sich selbst ersäuft hätte. Hierauf ist er in die Schule gegangen. Hierhin ist sehr bald seine Frau gekommen und hat geschrieen: Ach, lieber Mann, wie geht das zu, meine Mutter hat sich im Würztroge ersäuft, lauf und komm' doch nach Hause.

Hierauf kamen die Nachbarn und die Gerichte, um die Todte zu besichtigen. Da es aber schon gegen Abend war, hat sich Jedermann gegrauet und die Leiche nicht ordentlich angeschauet, sondern haben dem Nachrichter befohlen, sie als eine Selbstmörderin des folgenden Tages, eines Sonntages, auf den Schindanger zu fahren und zu begraben.

Wie nun der Schinder den Körper angreift, hebt derselbe an heftig zu bluten. Da sprach der Schinder: Es gehet nicht mit rechten Dingen zu, wer sich schuldig an diesem Blute weiß, der hat Eile, sich davon zu machen. Darauf haben viele Leute dem Kantor gerathen, zu flüchten oder sich in ein Kloster zu bergen, allein er hat nicht gewollt.

Endlich hat man ihn eingezogen und mit der scharfen Frage belegt, doch hat er nichts gestanden. Am folgenden Tage jedoch hat er den Rathsherrn Hieronymus Ruprecht zu sich kommen lassen und ihm Alles bekannt, wie es zugegangen. Darauf ist er nächsten Mittwoch hinausgeschleift und auf's Rad gelegt worden.

Ob nun wohl dieses Mörders Eheweib um die That gewußt, auch zu ihrer leiblichen Mutter Ermordung selbst Rath gegeben, hat man sie doch damals verschont und nicht angreifen dürfen, weil sie täglich ihrer Geburt entgegen gesehen, sie ist aber dann länger als ein ganzes Jahr schwanger gegangen und hat nicht gebären können, sondern mußte zuletzt darüber zerbersten.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862