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Das Baarrecht

  Laubaner Chronik a. a. 1645. Schindler, der Aberglauba. des Mittelalters 1858 S. 239.

In Lauban lebte ums Jahr 1645 ein Bleicher, Namens Gruner. Der hat um schnöden Goldgewinnsteswillen einen Spitzenhändler, der bei ihm eingekehrt war, um einen Garnhandel mit ihm abzuschließen, jämmerlich erschlagen und den Leichnam, nachdem er drei Tage fest gefroren gewesen, denn es war zur Winterszeit, bei nächtlicher Stunde in den Queiß getragen.

Aber wie denn der große Bluträcher im Himmel Alles ans Licht bringt, so ist auch diese That bald ruchbar geworden. Die Leiche wurde gefunden und es entstand ein großer Zulauf. Der Scharfrichter und „die Jüngsten“ waren bestellt, um auf den Gruner Acht zu haben. Als aber der Auflauf bei der Leiche größer wird, ist auch der Mörder mit unter dem Haufen gewesen. Da haben alsbald „die Jüngsten“ einen Kreis um die Leiche geschlossen und der Scharfrichter ist in die Mitte getreten und hat mit lauter Stimme gesagt: Der Mensch gehöre ihm nicht; der wäre eines gewaltsamen Todes gestorben und der Mörder befände sich unter dem Haufen des Volks. Hierauf haben Alle bei dem Todten vorbeigehen und ihn mit den zwei Zeigefingern an der Stirn anrühren müssen. Als nun die Reihe an den Gruner kommt und er ihn anrühret, läuft das rothe Blut dem Todten aus der Nase. Da hat man den Mörder sogleich ergriffen und festgesetzt.

Anmerkungen:

Das Baarrecht war ein gesetzlich autorisirter Aberglaube. Es kommt schon vor in den Nibelungen (v. 984–986), im Jvein (v. 1555–1564). Vgl. Shakespeares Richard III. (act. 1. sc. 2.) Es findet sich weitläufig beschrieben in einer hessen - darmstädtischen Landesverordnung von 1639. In Pommern wurde es noch 1669 mit Erfolg angewendet und hier und da hat es bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts gegolten.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862