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Die Erscheinung des verstorbenen Eheherrn

  Gräve S. 81.

Im Jahre 1683 besuchte eine Gräfin Truchseß ihre Freundin, die Frau von Gersdorff auf Baruth, um daselbst das Ende des Sommers zuzubringen. Der Gemahl der ersteren befand sich damals als österreichischer Offizier im Feldzuge gegen die Türken. Am zwölften September des Jahres wurde bekanntlich Wien entsetzt, und dieses wichtige Ereigniß überall, wohin die Kunde davon gelangte, mit Dankgebeten und Freudenfesten gefeiert. So geschah es auch einige Tage nach dem Siege auf dem Schlosse zu Baruth. Da trat am hellen Tage ein österreichischer Krieger ins Tafelzimmer und stellte sich hinter den Stuhl der Gräfin. Diese sich umwendend erkennt mit freudigem Erschrecken ihren Gemahl: „Graf Truchseß!“ ruft sie aus, springt auf, um ihn zu umarmen. Allein – verschwunden war der Ritter. – Man hielt es anfänglich für einen Scherz, womit er seine Gattin habe necken wollen, und durchsuchte das ganze Schloß, aber ohne ihn zu finden.

Die Gräfin wurde nach langem vergeblichen Harren gefährlich krank. Nach mehren Tagen traf die Nachricht ein, daß Graf Truchseß im Gefecht einen tödtlichen Säbelhieb in den Schädel erhalten, an dessen Folgen er – und zwar an dem Tage und zur Stunde dieser Erscheinung – gestorben sei.

Ein Gemälde im Baruther Schlosse, das noch vor sechszig Jahren daselbst zu sehen war, trug dieses Ereigniß auf die Nachwelt. Es stellt eine Gesellschaft von Damen und Herren im Kostüm des 17. Jahrhunderts dar, welche um eine reich besetzte Tafel sitzt. Ein österreichischer Krieger mit sonnverbranntem Gesicht beugt sich über den Stuhl einer schönen noch jugendlichen Frau, auf deren Antlitz der Ausdruck freudigen Erschreckens unverkennbar ist.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862